1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 11:311–314.

DEZSŐ SZABÓ

Die Zeitung als Vermittler von Kultur und Literatur

 

Die Literatur teilt wesentliche Entwicklungen der Mediengeschichte. Die Medien erweiterten die instrumentelle Basis der Literatur und führten auch zu Veränderungen von Form und Inhalt der literarischen Texte. Im Literaturleben lässt sich immer deutlicher noch ein Wandel beobachten. Die traditionellen Formen der Darstellung geraten mit den Medien zunehmend in eine Konkurrenz. Es zeigt sich also, dass sich auch die Literatur und damit die Autoren in einer veränderten Situation befinden. Blieben etwa die Schriftsteller anfangs mehr oder weniger unter sich, war die Kritik kollegiale Arbeitskritik, so sind heute die Literaturvermittler (Verleger, Lektoren, Kritiker) in der Überzahl. Die Existenzmöglichkeiten der meisten Autoren sind aber derart eingeschränkt, dass sie ohne zusätzliche Einkünfte durch die Massenmedien oder andere neben- und hauptberufliche Tätigkeiten sich überhaupt nicht unterhalten könnten. So lässt sich leicht verstehen, warum sich die Tätigkeiten der Autoren für die Medien selbst differenziert und erweitert haben. Die Autoren sind schon aus materiellen Gründen auf die Mitarbeit in den Massenmedien angewiesen und somit zwangsweise mit den Medien konfrontiert, ja aufgefordert, auf sie zu reflektieren.1 (Damit lässt sich auch das Aufkommen von „Allround-Autoren” erklären.) Nicht zu vergessen zuletzt: das Buch ist ja selbst eines der Medien. Die Art und Weise, wie es auf dem Markt durchgesetzt wird, ist es zugleich, was das Geschäft mit dem Buch zunehmend zum reinen Warenhandel verkommen lässt. Die Verlage müssen sich notwendigerweise auf den Leser (d.h. auf den Kunden) konzentrieren und vor allem Gewinne erzielen. Was mit all diesen Bemerkungen angedeutet werden sollte: der Weg zwischen Autor und Publikum wird immer mehr durch außerliterarische Faktoren gepflastert. Dies hat selbstverständlich Veränderungen in der Rezeption und auch im Verhältnis von Literatur und Medien zur Folge. Die Medien veränderten die Literatur dermaßen, dass man sich der Umwälzung in ihrer ganzen Tragweite kaum bewusst wird. Sie schufen, wie bereits erwähnt, eine Konkurrenzsituation für die Literatur, auf die die Schriftsteller kaum vorbereitet waren und auf die sie dementsprechend unterschiedlich reagierten bzw. reagieren. Will man sich über den Niederschlag dieser Veränderungen ein Bild machen, so muss man primär den Ausgangspunkt näher untersuchen, d.h. das Verhältnis zwischen der jeweiligen kulturellen Gattung und den Medien. Ich habe für die konkrete Untersuchung ein mögliches literaturtragendes Medium, die Zeitung, nämlich den Pester Lloyd, und zwar im Zeitraum 1920–1933 ausgewählt, und aus dem kulturellen Bereich die Literatur. Dieser Betrachtung sollen aber zunächst einige Bemerkungen vorausgeschickt werden.

Publizistische Organe hatten schon immer eine Komplementär-Funktion neben den wissenschaftlichen Publikationen zu erfüllen. Indem sie das literarisch-kulturelle Leben der Öffentlichkeit mit kritischen Berichten begleiten, tragen sie zugleich nicht nur zur Informationsversorgung des breiteren Leserpublikums bei, sondern zur Meinungsbildung durch die Vermittlung von Inhalten aber auch von Wertungen. Im Falle von fremdsprachlichen Inhalten bilden diese Wertungen gleichzeitig einen wichtigen Teil des Rezeptionsprozesses. Dabei darf man nicht außer Acht lassen, dass im Typus des Vermittlers dem Germanisten gerade die Probleme entgegentreten, mit denen er sich konfrontiert sieht, sobald er sein eigenes Terrain verlässt. Es geht dabei nicht einfach um eine „Aufspaltung des germanistischen Diskurses in professionelle Interpretation und halbprofessionelle Vermittlung”.2 Es kam zum Beispiel vor, dass es während der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland sogar Jahre gab, in denen die Emigranten allein über den PL legal zum deutschen Publikum gelangten.3 Darüber hinaus hat die Zeitung durch ihre technischen Vorteile (schnellere Erstveröffentlichung, Teilveröffentlichung, Vorabdruck, Auszug usw.) dem Autor eine weitere Attraktivität zu bieten. Nehmen wir den Feuilletonroman zum Beispiel, so ergibt sich nach Faulstich,4 dass die Analyse eines Romans drei Voraussetzungen hat, nämlich dass der Roman gedruckt, gekauft und gelesen wurde. Diese drei sind bei ihm zugleich Kategorien, nämlich dass der Roman gedruckt wurde, beschreibt eine Art von Vermittlung. Konkret heißt es, dass ein jeder Roman durch ein Medium vermittelt wird, insofern kann man diese Form der Vermittlung als eine ästhetische Kategorie definieren. Eine zweite Art der Vermittlung, die Distribution genannt werden könnte, ist der Kauf des Romans. Hier zeigt sich der Warencharakter des Romans.5 Die Ware wird aber auch konsumiert (= der Roman wird gelesen) dementsprechend haben wir den Gebrauchswert (= Rezeption).

Der Romanschriftsteller, der sich als „Berufsschriftsteller” etablieren konnte, war (ist) also gut beraten, wenn er sein Werk vor der Buchpublikation in einer Zeitung publizierte. Ob Vorab- oder Nachdruck, ein Teil oder ein direkt für die Zeitung konzipierter Roman,6 Neufassung: die Publikation in der Presse trug maßgeblich zur Popularität des Autors bei. Und nicht zuletzt minderte es ebenfalls das wirtschaftliche Risiko, denn als Vorab- oder Nachdruck eines Buches war der Roman eine Werbung für den Autor, für das Werk und selbstverständlich auch für den Verleger. Mit dem Roman sollte außerdem für die Zeitung selbst geworben werden, denn das Ziel war ja schließlich, den Leser dauerhaft an das Blatt zu binden bzw. neue Leser zu gewinnen, die zum Beispiel über die Sport- oder Politikseite der Zeitung nicht zu erreichen waren. Man kann also ohne Übertreibung sagen, dass der Feuilletonteil wesentlich dazu beiträgt, neue Absatzmöglichkeiten zu finden. Dies hat natürlich auch seine Schattenseiten. Ich denke dabei nicht nur etwa an eventuelle urheberrechtliche Schwierigkeiten, sondern möchte auch an die Probleme bei der Auswahl des geeigneten Literaturprodukts für die Publikation in der Zeitung hinweisen. Diese erfolgt nämlich nicht nur nach rein literarischen Kriterien, sondern auch nach ideologischen oder sogar nach politischen. Es besteht auch die Gefahr, dass „die Literatur von den Medien zu Unterhaltung und somit unschädlich gemacht wird”.7 Kristina Zerges zeigt am Beispiel der Arbeiterpresse sehr anschaulich, welche Momente bei der Auswahl ausschlaggebend sein konnten. In der sozialdemokratischen Presse waren mit dem Roman Grundsatzfragen einer sozialistischen Literatur und Bildungsfragen der Partei eng verbunden. Es ließen sich dabei zwei Positionen beobachten. Die eine wollte den Unterhaltungsteil strikt von dem politischen Teil der Zeitung trennen, also den jeweiligen Roman rein nach literarischen Gesichtspunkten auswählen. Die andere Richtung vertrat die Meinung, dass nur Romane in der Zeitung abzudrucken seien, die konsequent die sozialistische Weltanschauung widerspiegeln.8 Die Gefahr bei solchen Überlegungen liegt auf der Hand: nicht unbedingt das reine Wortkunstwerk steht im Vordergrund, sondern z.B. die Vermittlung sprachlich anspruchsvoller Formen mit inhaltlichen Problemen aus aktuellen Gesellschaftsbereichen oder der agitatorische Charakter eines bestimmten ideologischen Denkens. Was den Pester Lloyd in seiner Zeit besonders wichtig, ja maßgebend machte, war – neben vielem anderen – gerade, dass Letzteres für ihn NICHT charakteristisch war.

Zu der Rezeption deutschsprachiger Literatur und Kultur im Pester Lloyd, deren Untersuchung vorliegende Arbeit vorhat, scheint es mir wichtig zwischen zwei Wortbedeutungen bei der Rezeption zu unterscheiden, nämlich Rezeption als Produktion und Rezeption als Verwertung im Medientransfer.9 Zum einen meint man damit die Aufnahme, Interpretation oder Neugestaltung einer literarischen Gattung, zum zweiten versteht man sie als Verwertung im Medientransfer, also die Aufnahme des literarischen Produktes in anderen Medien. Für diese Untersuchung ist aber die Rezeption durch die (Zeitungs)Leser, also als die Lektüre jener wichtig. (Das betrifft selbstverständlich auch die Kritiker oder Rezensenten). Dazu muss man allerdings Unterscheidungen treffen, wie etwa Literatur mit literarischem Anspruch, bestimmte Lesergruppen, textspezifische Kriterien usw. All dies hat demnach für die Literaturanalyse in der Zeitung einen Widerspruch zur Folge: der Literaturwissenschaftler kann nur wissenschaftlich tätig werden, wenn er zuvor „normaler” Leser war. Der Romankritiker kann in der Zeitung seine persönliche Meinung abgeben, der Literaturwissenschaftler jedoch strebt nach wissenschaftlichen, d.h. nach kontrollierbaren Erkenntnissen. Hiermit ergibt sich, dass Leser und Forscher, also Rezeption und Interpretation nur schwer voneinander zu trennen sind. Zu bemerken ist, dass die Stimmen, die betonen, dass die Rezeptionsästhetik die Herausforderung durch die Massenmedien nicht konsequent genug angenommen habe, immer lauter werden. Dies obwohl Jauß frühzeitig gewarnt hatte: „Allein durch die Anwendung der bisher kanonisierten Methoden der Philologie kann die Literaturwissenschaft das, was früher ihr Bildungsauftrag genannt wurde und jetzt ihre kritische gesellschaftliche Funktion sein könnte, nicht mehr erfüllen, nämlich an ihren Gegenständen eine Urteilsbildung zu entwickeln, die sowohl ästhetische Wahrnehmung und moralische Reflexion in der Erfahrung der Kunst freisetzt, als auch gegenüber den Einflüssen der geheimen Verführer, der ästhetischen und nicht-ästhetischen Wirkungen der Massenmedien unverführbar sind.”10 Als Ansatzpunkt können wir auf jeden Fall annehmen, dass die Verwertung und „Mediealisierung” der Literatur wesentlich in die Struktur und Beschaffenheit der literarischen Werke eingreift. Des Weiteren bedarf die Untersuchung einer Zusammenarbeit aller sachrelevanten anderen Wissenschaften, auch wenn – wie Helmut Schanze darauf aufmerksam macht – die Zahl der Medienwissenschaften bereits inflationär ist.11 Faulstich greift in einem anderen Werk diese Gedanken auf, und empfiehlt, das einzelne literarische Werk im Lichte seiner Medialisierung zu betrachten.12 Damit erst wäre Literaturgeschichte wieder möglich: als Mediengeschichte, als Mittler zwischen Werk-, Rezeptionsgeschichte einerseits und Geschichte der Ästhetik der Medien andererseits.

 

Anmerkungen

 1

vgl. die theoretischen Arbeiten Enzensbergers, Handkes, Baumgarts, Grass’ u.a.

 2

Albert, Claudia: Die erfolgreichen Vermittler: Studienräte, Publizisten. Editoren, S. 245 f.

 3

Ferenc Szász: Vielfalt und Beständigkeit. Jelenkor Verlag, Pécs, 1999. S. 29.

 4

Faulstich, Werner: Vermittlung und Rezeption, in: Ludwig, Hans-Werner (Hg.): Arbeitsbuch Romananalyse. Gunter Narr Verlag, Tübingen, 1993. S. 13

 5

Der Tauschwert der „Ware“ wird dabei im Preis ausgedrückt.

 6

Fortsetzungsroman. Es scheint mir wichtig erneut festzuhalten, dass die Vermarktung der Literatur in der Presse erst durch die Publikation von Romanen in Fortsetzungen ansetzte!

 7

Hinton, Thomas–Bullivant, Keith: Literatur in upheaval writers and the change of the 1960s. University Press Manchaster, 1974. S. 94.

 8

Zerges, Kristina: Literatur in der Massenpresse. In: Kreuzer, Helmut (Hg.): Literaturwissenschaft-Medienwissenschaft. Quelle&Meyer, Heidelberg, 1977. S. 108.

 9

Faulstich, Werner: S. 34

10

Jauß, Hans Robert: Paradigmawechsel in der Literaturwissenschaft. In: Viktor Zmegac (Hg.): Methoden der deutschen Literaturwissenschaft. Eine Dokmentation. Frankfurt a.M., 1972. S. 288

11

Schanze, Helmut: Literaturgeschichte als Mediengeschichte? In: Literatur in den Massenmedien-Demontage von Dichtung? Hrsg. v. Knilli, Friedrich-Hickethier; Knut-Lützen, Wolf, Dieter, Carl Hanser Verlag, München, 1976., S. 189

12

Werner Faulstich: Medienästhetik und Mediengeschichte. Mit einer Fallstudie zu „The War of Words“ von H. G. Wells. Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg, 1982. S. 276–277