1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 6:115–118.

PÉTER HANÁK

Ein Historiker Mitteleuropas: Richard Georg Plaschka

 

In meiner biographischen Fotosammlung bin ich unlängst auf eines meiner liebsten Bilder gestoßen: ein Barockprunksaal mit langem Vortragstisch, an dem hochgebildete Wissenschaftler sitzen. Hinter ihnen eine große, schlanke Gestalt mit Brille und Geheimratsecken, die sich nach vorn beugt; beobachtend oder etwas erklärend und praktisch das ganze Bild einrahmend. Er ist eindeutig zu erkennen – Professor Plaschka, im Juni 1964. Anlass war der 50. Jahrestag des Ausbruches des 1. Weltkrieges. Damals, vor gut 30 Jahren, traf ich im Belvedere Palast zum ersten Male unseren guten Freund Richard Plaschka; ihn und einige junge Kollegen wie Fritz Fellner und Gerald Stourzh. Ich glaube, damals bereits geahnt zu haben, was sich innerhalb weniger Jahre anlässlich häufiger fachlicher Treffen (und Besprechungen am grünen oder Verhandlungstisch) eindeutig bestätigte: das mir wohlgesinnte Schicksal hat mich mit einem neuen Wien, einer neuen Anschauungsweise, mit den Mitgliedern einer neuen Wissenschaftlergeneration zusammengeführt. Nach den Gruppierungen der radikalen Aula von 1848 oder Junges Wien um 1870 und 1890 hat sich an der Universität Wien nun ein neues, diesmal wissenschaftliches Junges Wien formiert. Charakteristisches Mitglied dieses Kreises, sozusagen: Gepräge Gebender war Professor Plaschka. Aber noch mehr als dies: Repräsentant des Fortbestands der Universalität der einstigen Donaumonarchie, und gleichermaßen deren modernste Verkörperung. Er ist es, der in seinem wissenschaftlichen Oeuvre und mit seiner wissenschaftspolitischen Orientierung die Züge eines glanzvollen Antlitzes Mitteleuropas, die communitas varietatis, Verständnis und Versöhnung repräsentiert. Verständnis und Versöhnung, die unbefangene Vermittlerrolle der Historiographie – sie sind jene Leitmotive, die dem von der deutschen Großmacht diskreditiertem Mitteleuropa-Gedanken eine neue fachliche und geistige Perspektive verschafften.

Sein wissenschaftliches Wirken von rund vier Jahrzehnten ist durchwoben von diesen Ideen. Selbst ein skizzenhafter Überblick kann deshalb nicht Aufgabe einer kurzen Begrüßung sein. Wenn wir aber auch ausschließlich die bedeutendsten Etappen und Schwerpunkte seiner Laufbahn erwähnen, so entfaltet sich doch vor unseren Augen ein beneidenswert konsequentes und konsistentes Karriereportrait, beginnend mit der Dissertation im Jahre 1954 über die tschechische Geschichtsschreibung und ihren Einfluss auf das Nationsbewusstsein, über die eingehende Untersuchung der tschechischen und südslawischen nationalen Bewegung, bis hin zu seiner Habilitationsschrift (1962) Cattaro und Prag. Revolte und Revolution”. Von hier an spaltet sich das Interesse zwischen den nationalen Bewegungen und Konflikten bzw. der Untersuchung von Militärgeschichte und Kriegskonflikten. In diesem mittleren Abschnitt kamen so hervorragende Arbeiten zustande, wie die Innere Front” (1974) oder Matrosen, Offiziere, Rebellen” (1984). Selbstverständlich ist auch die Kulturgeschichte, in welcher er ebenso zuhause ist, nicht allein von nationalen Rahmen, sondern von einer kontinentalen Universalität sowie mitteleuropäischer Gegenseitigkeit geprägt. Sein Schaffen von etwa drei Jahrzehnten ist in einem Sammelband zusammengefasst, dessen Titel und Inhalt gleichermaßen getreu den geistigen Spielraum von Prof. Plaschka wiederspiegeln: Nationalismus, Staatsgewalt, Widerstand, Aspekte nationaler und sozialer Entwicklung in Ostmittel- und Südosteuropa”. Der die Synthese begreifende scharfe Verstand des Autors umfasst die Region von der Ostsee bis hin zum Schwarzen Meer, erfasst die Disziplinen von der Gesellschaft bis zu den geistigen Strömungen, vom Nationswerden bis hin zur übernationalen Staatsidee.

Es würde jedoch von Einseitigkeit zeugen, allein die Vielseitigkeit von Professor Plaschka zu loben und die Multidimensionalität seines wissenschaftlichen Interesses zu betonen. Denn tatsächlich ist er derjenige, der die Dreiheit des ideellen Intellektuellen verkörpert: Wissenschaftler, Professor und Persönlichkeit des öffentlichen Lebens – also Organisator und Diplomat in einer Person. Von der Wirksamkeit seiner Lehrtätigkeit zeugen viele hundert Studenten, Doktoranden und die Generation junger Professoren, von denen hier zwei der eng vertrauten ‘Schüler’ vertreten sind. Vielleicht ist es bekannt und nur nebenbei zu erwähnen, dass Professor Plaschka von Beginn seiner Laufbahn an emsig an der Planung und Organisierung des Bildungswesens beteiligt war. Zu Beginn der 80er Jahre war er für 2 Jahre Rektor der Universität Wien, Präsident der österreichischen Rektorenkonferenz und in dieser Funktion Anreger der Rektor- Konferenzen der ‘Donau-Universitäten’. Betreffs dieser wissenschaftspolitischen Aufgabenbereiche zeigten sich ebensolche hervorragenden Qualitäten, wie zu jenem Zeitpunkt, da er tatsächlich Diplomat war, und zwar als Mitglied der österreichischen UNESCO-Kommission. Wie die meisten Historiker hat auch ihn die Politik fasziniert, doch ist aus ihm kein Berufspolitiker geworden. Ich glaube, davon haben ihn das Ethos des Wissenschaftlers, die unvoreingenommene Suche nach der Wahrheit und die Deklarierung jener zurückgehalten. Denn Fakt ist, dass Geschichte und Politik gemeinsame Grenzen aufweisen und diese Grenzen können leicht überschritten werden. Doch existieren auch bei den Geschichtsschreibern zwei Kategorien: zum einen ist da der Politiker, der die Geschichte in den Dienst seiner Ideen und Ziele stellt, zum anderen der Historiker, der sich für die Politik interessiert und sich nachträglich auch in Angelegenheiten der Politiker einmischt; doch wird aus ihm nie ein Politiker. Er war und ist ein Historiker durch und durch, ein um Verständnis bemühter Humanist, ein Ausgleicher, der den Worten Erich Zöllners gemäß immer darum bemüht war, verhärtete nationale Fronten in der Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, einseitige Stellungnahmen ... zu überwinden”, sowohl hinsichtlich der Forschungs- und Lehrtätigkeit als auch bezüglich organisatorischen Wirkens. Vielleicht irre ich nicht mit der Behauptung, dass dies seine Berufung und sein Kredo ist. Aus diesem Grunde kann er als wahrer Europäer angesehen werden, was in unserem Falle außerdem auch den echten Mitteleuropäer bedeutet, ebenso wie den Österreicher, den Traditionen eines Grillparzer oder Stifter gemäß, im Sinne der Auslegung der Geschichte seitens eines Josef Redlich oder Jaroslav Goll.

Es mag sein, dass einige, gegenwärtig, im Angesicht des jüngsten Zerfalls Mitteleuropas ein solches Mitteleuropäertum als überholt und nicht zeitgemäß betrachten. Es mag sein, dass der Geschichtsschreibung erneut das Schicksal loyaler Untertanen oder belangloser postmoderner Künste widerfährt. Ein persönliches Erlebnis beschwört diese ominösen Aspekte herauf. Es geschah vor 27 Jahren, im Frühjahr 1970. Derzeit gestaltete sich unsere Zusammenarbeit mit dem Osteuropa Institut dermaßen intensiv, dass wir mit dem Direktor des Institutes, Richard Plaschka, übereinkamen, ein gemeinsames Team aufzustellen, das die Redaktion einer historischen Bibliographie Mitteleuropas und später dann der Keim eines gemeinsamen Institutes sein könnte. Kurz darauf wurden György Ránki und ich ins Außenministerium zitiert, wo uns ein hochrangiger Funktionär gründlich abkanzelte, wie naiv und blind wir doch seien, da wir nicht bemerken würden, dass dieser bibliographische Plan ein ausgeklügelter Anschlag der Imperialisten ist. Er legte uns sogar einen Zettel zum Beweis dessen vor, dass das Osteuropa Institut eine getarnte amerikanische Agentur sei und sein Direktor ein Agent des Imperialismus. Obwohl wir von der Glaubwürdigkeit der bibliographischen Diversion nicht überzeugt waren, ist der schöne Plan auf Eis gelegt worden. Eine Rolle spielte hierbei der Umstand, dass man unsere österreichischen Freunde mit dem Gespenst kommunistischer Manöver abschreckte.

Aus dem mitteleuropäischen historischen Institut ist nichts geworden – geblieben aber sind gegenseitige Achtung und die Freundschaft. Wir glaubten an die Zukunft Mitteleuropas und die Notwendigkeit einer versöhnenden Zusammenarbeit. Den Trend der historischen Entwicklung haben wir besser erkannt, als die Politiker des Kalten Krieges, obwohl vielleicht heute die Aussichten auf eine Völkerversöhnung in Mittel- und Südosteuropa nicht günstiger sind als vor einem halben Jahrhundert.

 

Lieber Richard!

Ich hoffe und wünsche sehr, dass Du Deinen Weg mit ungebrochener Energie fortsetzt, jene Laufbahn, die Du Dir auserwählt hast – für jenes Lebenswerk, das von Dir so erfolgreich in Angriff genommen wurde. Ich hoffe und wünsche, dass die schweren Schicksalsschläge Dich nicht von Deinen Vorhaben abzubringen vermögen. Es ist schon möglich, dass die Aussichten auf Versöhnung und Ausgleich gewissermaßen aussichtslos sind. Es kann sein, dass wir nicht mehr die Verwirklichung einer Pax Europea miterleben.

Doch möchte ich Dir zum Schluss mit den Worten von Endre Ady folgende Botschaft übermitteln: „Wenn wir auch gehen, unsere Wahrheiten verbleiben hier”.