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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 4:119–127.

MÁRIA HEGYESSY

Friedrich Schlegel und seine Zeitschrift „Europa”

 

I.

Einer der größten Denker der Frühromantik in Deutschland, Friedrich Schlegel, war Schriftsteller, Philologe, Philosoph, Historiker, Dichter und Herausgeber von mehreren Zeitschriften zugleich; in der zweiten Hälfte seines Lebens befasste er sich auch mit Politik. Er lebte von 1772 bis 1829, war Zeitgenosse von Goethe und Hauptpersönlichkeit der frühromantischen Bewegung in Deutschland, um die herum sich der sogenannte Jenaer Kreis der Frühromantiker herausbildete. Dazu gehörten außer Friedrich, dem Philosophen, sein Bruder August Wilhelm Schlegel, Philologe und Kritiker, Friedrich Schleiermacher, Moralist und Theologe, Ludwig Tieck, der populäre Erzähler, Novalis, der esoterische Mystiker, weiterhin Schelling, der junge Philosoph, zum Teil auch Fichte aus der älteren Generation und eine wichtige Rolle spielten auch die Frauen, Caroline, die Frau von A. W. Schlegel und Dorothea Veit, die spätere Frau von Fr. Schlegel, die übrigens die Tochter des großen Humanisten, Moses Mendelssohn war. Ihr Ziel war es, unter dem Stichwort Symphilosophie und Sympoesie gemeinschaftliche Werke zu bilden, da sie meinten: „Philosophieren heißt, die Allwissenheit gemeinschaftlich suchen”. (Athenäums-Fragment Nr. 344.)

Eben diese frühe Schaffungsperiode von Fr. Schlegel, zur Zeit des Jenaer Kreises, wird heute im Allgemeinen als die interessanteste und bedeutendste in seiner ganzen Tätigkeit eingeschätzt. In diesen Jahren schrieb er seine berühmten Fragmentsammlungen (Kritische Fragmente 1797, Athenäumsfragmente 1798, Ideen 1800) und andere poetisch-philosophische Werke (Gespräch über die Poesie 1800, Über die Philosophie. An Dorothea 1799, Über die Unverständlichkeit 1800), in denen seine grundlegenden Gedanken über Poesie, Philosophie, Verstehen und seine Reflexionen über die Möglichkeit der poetischen, philosophischen Mitteilung überhaupt zum Ausdruck kommen.

Die Bedeutung der frühen schöpferischen Tätigkeit von Fr. Schlegel besteht darin, dass er zu den ersten Denkern gehört, die die philosophische Wahrheit nicht mehr in Form von geschlossenen philosophischen Systemen, und die poetische Wahrheit nicht mehr in fest umgrenzten, geschlossenen poetischen Formen, Gattungen suchten. Vor allem in seinen Fragmentsammlungen bildet sich eine neue Mitteilungsform heraus, die die Gedanken in ihrem Entstehungs- zustand darstellt und die Poesie und Philosophie in unendlicher Potenzierung vereinigen will. Dieser Gedanke der unendlichen Potenzierung ist ein Grundgedanke der deutschen frühromantischen Bewegung, deren wahrer Theoretiker eigentlich Fr. Schlegel selbst war. Das Offenhalten der Gedankenrichtung Zukunft, der Prozesscharakter des künstlerischen Schaffens und des philosophischen Denkens ist deshalb bedeutend, weil sich darin zum ersten Mal nach der Aufklärung und dem deutschen Idealismus eine historische Auffassung realisiert, die die poetische und auch die philosophische Wahrheit historisch relativiert. Sowohl in weltgeschichtlichen Dimensionen, als auch innerhalb der Geschichte eines Individuums. Diese beiden Seiten offenbaren sich auch im Leben von Fr. Schlegel, da er einerseits viele historische, literaturhistorische Werke schrieb, wie z. B. Geschichte der Poesie der Griechen und Römer (1798), Geschichte der alten und neuen Literatur (1814), Über die neuere Geschichte (1810), viele Vorträge hielt, wie z. B. die Pariser Vorlesungen über die Geschichte der europäischen Literatur von den Griechen bis zur Gegenwart (1803–04), oder die Kölner Vorlesungen über Geschichte der Literatur, über Entwicklung der Philosophie, über Universalgeschichte, über Deutsche Sprache und Literatur (1804–07) usw., ferner die späten Vorlesungen in Wien über Philosophie des Lebens, Philosophie der Geschichte und Philosophie der Sprache und des Wortes (1827). Auf der anderen Seite führte er sein ganzes Leben lang ein Tagebuch, das als „Philosophische Hefte” erschienen ist, das heißt, er hörte nie auf an seinen eigenen sogenannten „Philosophischen Lehrjahren” zu arbeiten, die er mit seinen eigenen Worten „Geschichte meiner Bildung, inneres Symphilosophieren”1 nannte. Daher kann man auch die Wichtigkeit eines seiner zentralen Begriffe, der Bildung verstehen, der im Leben des Menschen nie ein Ende gesetzt werden dürfte.

Wilhelm Dilthey sagte über ihn: „er erfasste den geistigen Grundvorgang, auf welchem die geschichtlichen Wissenschaften beruhen, wenn er ... auf die Natur des Verstehens und des Nachkonstruierens zurückging...”2 und Ernst Behler, einer der größten Schlegel-Forscher schreibt über das Verhältnis von Theorie und Geschichte bei Schlegel, nämlich, dass in der Geschichte von Zeit zu Zeit die Realisierung einer Theorie, eines Systems zu beobachten sei, welche Theorie, welche Wesenhaftigkeit sich ständig hinter der Geschichte ziehe. Dass „die Geschichte von selbst zur Theorie umschlage, während die Theorie umgekehrt der einzige Schlüssel der Geschichte sei”.3 Er schreibt also vom „Wechselbezug zwischen Geschichte und System, Historie und Theorie”.4

Diese historische Auffassung verbindet sich bei Schlegel somit einerseits mit der Notwendigkeit der Bildung, des ständigen Sich-Selbst-Bildens, andererseits mit der Notwendigkeit der Popularisierung der Philosophie durch die neuen poetischen Mitteilungsformen. Er bezeichnete nämlich die „Philosophie eines Menschen” in den Pariser Vorlesungen ganz platonisch, als „die Geschichte, das Werden, Fortschreiten seines Geistes, das allmähliche Bilden und Entwickeln seiner Gedanken”.5 Damit vertrat und verkündete er eine neue Denkweise, laut deren Philosophie, d.h. Denken jedem gehört, betonte also die Universalität der Philosophie, Poesie und Kultur.

Die wichtigsten Punkte in dieser frühen Periode seines Denkens sind also die Erkennung der historischen Relativiertheit der philosophischen und poetischen Wahrheiten, (eigentlich aller Wahrheiten, Äußerungen und Urteile, die einen sprachlichen Charakter haben) ebenso, wie die Betonung der zeitlichen, d.h. geschichtlichen Relativiertheit des Verstehens (Die Interpretationsmöglichkeiten eines Kunstwerks sind unendlich.) – in seiner kritischen Tätigkeit, weiterhin sein Universalitätsanspruch der Philosophie und der Poesie, der in der Vorstellung der Progressivität und unendlicher Potenzierung dieser Vorgänge erschien.

Im Hintergrund seines historischen Bewusstseins liegt aber eine besondere Zeitauffassung, die alles, was in der Zeit geschieht – sowohl das Denken, als auch den künstlerischen Schaffensprozess oder den Verstehensprozess – als einen nie beendbaren, sich immer potenzierenden Vorgang darstellt. Es ist wichtig zu verstehen, dass für ihn die historische Relativität der Wahrheit nicht bedeutet, dass es überhaupt keine Wahrheiten oder keine allgemeingültigen Werte gäbe. Er vertritt gewisse Werte in seinen Werken, aber sein Herangehen, seine ganze Haltung unterscheidet sich von der der systementwickelnden Denker. Für ihn ist es am wichtigsten, die richtige Fragen stellen zu können, statt eindeutige Antworten zu geben, und dass die fortwährende philosophische, poetische Selbstreflexion immer die nötige Distanz zu den eigenen Gedanken und Werken schafft.

Meiner Meinung nach ist seine Zeitauffassung weder eine lineare, die einen eindeutig positiven Entwicklungsglauben und am Ende eine selige Lösung impliziert, noch eine einfach zyklische, die zwar unendlich ist, aber immer wieder in einem Kreis zu den gleichen Punkten zurückkehrt, so sich unverändert und erstarrt um den Wahrheitspunkt dreht, sondern er verbindet diese zwei Zeitauffassungen zu einer spiralähnlichen, in der sich oberflächliche Linearität der Zeit und zyklische Bewegung vereinigen. Diese Art von Denken kehrt zwar immer wieder zu sich selbst zurück und fließt dann weiter, aber immer erst nach einer kleinen Modifikation, immer ein wenig anders, auf einer nächsten Stufe, und doch in jedem Moment nach einem unsichtbaren Mittelpunkt gerichtet.

All das steckt also hinter seinem Gedanken der Progressivität, die als Form der Universalität des menschlichen Geistes fungiert, (siehe seine berühmte Wendung „progressive Universalpoesie” im Athenäums-Fragment Nr. 116.) dessen Bestimmung es ist, in einem fortwährenden Bildungsprozess sich selbst immer wieder einzuschränken, zu vernichten, um sich dann auf einer nächsten Stufe wieder zu erschaffen, sich wieder zu schöpfen. („Vernichten und schaffen, eins und alles, und so schwebe der ewige Geist ewig auf dem ewigen Weltstrome der Zeit und des Lebens...” 6)

 

II.

Die Idee der Zeitschrift Europa begegnet diesem Gedanken in den Punkten Universalitätsanspruch und Popularität der Kultur. Es war ein Experiment, ein Versuch, nach dem Zusammenbruch der romantischen Schule, Schlegels frühere Ideale und Pläne eines universalen Bildungsgeistes der europäischen Kultur und Kunst zu realisieren.

Die Zeitschrift war von 1803 bis 1805 in Frankfurt, bei dem Verleger Friedrich Wilmans erschienen. Ihr Herausgeber und Redakteur war Friedrich Schlegel, der damals in Paris lebte und der die meisten und wichtigsten Beiträge selbst schrieb. Es sind insgesamt 4 Hefte herausgekommen, aber zuletzt trugen mehrere Ursachen dazu bei, dass die Zeitschrift eingestellt wurde. Die Idee stammte von Fr. Schlegel selbst und er wollte viele seiner Freunde – ausgezeichnete Schriftsteller und Denker – dazu gewinnen, an der Europa mitzuwirken, was ihm viele von ihnen auch versprachen. Man kann hier Namen nennen, wie Tieck, Bernhardi, Schleiermacher, Fichte, F. A. Wolf, Hülsen, Steffens, Ritter und natürlich der Bruder von Friedrich, August Wilhelm Schlegel. Nachdem sie aber einige Beiträge wirklich gesendet hatten, ließen sie schließlich Fr. Schlegel einer nach dem anderen im Stich und er musste selbst alles verfassen. Außerdem tat der Verleger auch nicht alles, um die Zeitschrift erfolgreich zu machen, er konnte insgesamt nur etwa 320–400 Exemplare absetzen, und es gehört auch zur Wahrheit, dass für Europa schließlich doch kein so großer Publikumskreis gewonnen werden konnte, wie es Fr. Schlegel erhoffte.

Trotz allem finden sich unter den Beiträgen bedeutende und später sehr wirksame Arbeiten, die vor allem von Fr. Schlegel stammen: literarische Aufsätze und Beschreibungen von Gemälden der altitalienischen, altdeutschen und altniederländischen Malerei.

In der Vorrede der Zeitschrift heißt es bei der Formulierung der Ziele: „an allem Anteil zu nehmen, was die Ausbildung des menschlichen Geistes am nächsten angeht, und das Licht der Schönheit und Wahrheit so weit als möglich zu verbreiten”. Sie solle die „mannigfaltigste Verschiedenheit der Gegenstände” aufzeigen, es seien „neue Ideen oder nützliche Nachrichten mitzuteilen und allgemein zu verbreiten”, ein weiteres Ziel ist es, „nur so zu schreiben, wie man sprechen würde, wenn es nur deutlich ist”.

Der Begriff Europa bedeutete für Friedrich Schlegel „ein Programm: der Inbegriff dessen, was er im Kulturellen zu verwirklichen strebte”.8 Der „Kosmopolitismus der europäischen Kultur” und die „unendliche Fülle des Bildungsgeistes von Europa”9 begeisterten ihn. Er gehörte zu den Denkern, die die Verschmelzung der geistigen, kulturellen Schätze von Deutschland und Frankreich wünschten und versuchte deshalb, das deutsche Publikum von den Pariser Neuigkeiten zu informieren, ihnen das geistige und kulturelle Leben Frankreichs bekannt zu machen. Den kulturphilosophischen Betrachtungen über Osten und Westen, Asien und Europa, den literaturwissenschaftlichen Studien über die Literatur verschiedener europäischer Völker und den bahnbrechenden Aufsätzen über Malerei der Renaissance und über altdeutsche-altniederländische Malerei dienen die modernsten Bedenken und Fragestellungen als Grundlage: wie es Schlegel selbst formulierte: „Die große Frage ist: sollen die Europäer ein Volk werden (alles verschmolzen), oder jede Nation nur ganz sie selber sein? – Vielleicht beides wie es im Mittelalter war.”10 Diese, auf die Gesamtheit der Kultur, der Künste und Wissenschaften gerichtete geschichtsphilosophische Europa-Idee kann demnach vielleicht als die frühromantische Wurzel der heutigen Europa-Bewegung betrachtet werden, die mit ihrem kulturellen und geistesbildenden Charakter die heutigen, in erster Linie wirtschaftlichen und politischen Gesichtspunkte komplementär ergänzt. Darin mag also die höchste Bedeutsamkeit der Zeitschrift Europa bestehen, wie es auch Ernst Behler meint.

Die bedeutendsten und wirkungsvollsten Beiträge der Europa sind Fr. Schlegels Schriften über alte Malerei. In den Pariser Aufsätzen (1802–03) Nachricht von den Gemälden in Paris, Vom Raffael und Nachtrag italienischer Gemälde berichtet er über „von der französischen Armee aus Italien und den Niederlanden entführte Kunstschätze”11, die in den nach den Napoleonischen Kriegen wieder eröffneten Pariser Kunstsammlungen ausgestellt waren. In seinen Kölner Aufsätzen (1804) Zweiter Nachtrag alter Gemälde und Dritter Nachtrag alter Gemälde beschreibt er unter anderem altdeutsche Gemälde aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die er während seiner Reise in den Niederlanden und den Rheingegenden gesehen hatte, als er an der Sammlertätigkeit der Brüder Boisserrée teilnahm.

Friedrich Schlegel gehörte zu den ersten Kunstschriftstellern der Zeit, die auf die altdeutsche, altniederländische (flämische) und auf die altitalienische Malerei aufmerksam machten, und dadurch, daß er die altdeutsche und altniederländische Malerschule für eine einheitliche Tradition hielt, wies er auf das gemeinsame Kulturgut Europas hin. In seiner Zeit war es allgemeingültig, im Sinne der ästhetischen Ideale der Klassik und der Aufklärung, die Meister der Hochrenaissance und vor allem natürlich die italienischen Meister am höchsten zu schätzen und ein altgriechisches, plastisches Schönheits- und Kunstideal zu verehren. Mit der Neuentdeckung der altniederländischen, altdeutschen und altitalienischen Primitiven zeigte Schlegel den jungen Malern seiner Zeit als erster neue Vorbilder statt des Nachahmungsideals der Hochrenaissance. Mit diesen Aufsätzen spielte er eine wesentliche Rolle bei der Entwicklung der modernen Kunstkritik und Kunstgeschichtsschreibung in Deutschland. Seine Interpretationen alter Gemälde trugen auch zur Herausbildung der Bilderbeschreibung als literarische Gattung bei. Damals gab es natürlich noch keine Reproduktionen, nur mit Hilfe von Kupferstichen konnte ein Gemälde dem Großpublikum vorgestellt werden. Die Bilderbeschreibung als literarische Gattung hatte also noch eine andere Bedeutung, als heute, da jedermann die Möglichkeit hat, die Kunstwerke der großen Meister mit Hilfe von Reproduktionen kennenzulernen und Bild und Beschreibung, als Darstellung desselben künstlerischen Inhalts mittels zwei verschiedener ästhetischer (visueller und verbaler) Medien zu vergleichen. (Viele große Denker der Zeit befassten sich neben Ästhetik des Wortes auch mit Ästhetik des Bildes, es genügt die Namen von August Wilhelm Schlegel, dem Bruder von Friedrich, Schelling, Goethe, Tieck, Wackenroder oder Novalis zu nennen.)

Seine Gemäldebeschreibungen „sind aber »Charakteristiken« von Kunstwerken, in denen, wie das Schlegel in seiner Theorie der Charakteristik fordert, der Eindruck dargestellt wird, den die Bilder auf einen aufmerksamen und wohl vorbereiteten Beobachter machen.”12 Sie enthalten außer Beschreibung auch Kritik und Deutung, also eine „absolute ästhetische Würdigung”.13 Sein Ziel war: was man mit der Sprache ausrichten kann, den „Geist eines Werkes der bildenden Kunst lebendig zu fassen und darzustellen”.14 Diese hohe Zielsetzung verleiht dem ganzen Thema auch Bedeutsamkeit, denn darin findet ein Grundprinzip der deutschen Frühromantik seine konkrete Realisierung, das auch später stark auf die Philosophie des 20. Jahrhunderts wirkte (z. B. auf Heidegger, Gadamer), nämlich das Prinzip, laut dessen die Kunst im Gegensatz zu den methodenorientierten Wissenschaften und philosophischen Systemen zum höchsten erkenntnistheoretischen Medium wurde. Dass die Kunst – im Gegensatz zu den begrifflichen Darstellungsversuchen – die Einzige wäre, die zur intersubjektiven Mitteilbarkeit, Darstellbarkeit des Absoluten fähig wäre, in der sich also das Absolute auf indirekte Weise manifestieren könnte. Daher stamme die Unendlichkeit, die Nie-Beendbarkeit des Kunstwerks und seiner Interpretationsmöglichkeiten. In dieser Auffassung spiegelt sich die historische Denkweise von Fr. Schlegel wieder und durch dieses Grundprinzip kann vielleicht auch seine ästhetische Theorie der Malerei besser verstanden werden, die er aufgrund seiner Charakteristiken von alten Kunstwerken entwickelte.

Er spricht für die „religiöse Bestimmung der Malerei”, deren Aufgabe wäre, „die Religion zu verherrlichen und die Geheimnisse derselben noch schöner und deutlicher zu offenbaren, als es durch Worte geschehen kann”.15 Er behauptet, „symbolische Gemälde” seien die „einzige wahre Gattung der Malerei”, und fordert für die Malerei „religiöse Themen”, oder „Themen, die einer symbolischen Behandlung fähig sind”. Der Zweck der Malerei sei also nicht „Reiz und Schönheit”, sondern „das Bedeutende”, die „hohe, ja göttliche Bedeutung”.16

An diesem Punkt ist es üblich, Schlegel eine didaktische Zielsetzung der Malerei vorzuwerfen und auf seine Konversion zur katholischen Kirche (1808) hinzuweisen, als angebliche Erklärung. Die Frage ist aber nicht so einfach. Die religiöse Einstellung war in ihren Wurzeln auch in seiner frühen Schaffungsperiode schon da, die drei Fragmentsammlungen führen schließlich bei ihm zu einem ganz neuen, nicht-dogmatischen und modernen Religionsbegriff, wie es das folgende Zitat aus seinem Werk Über die Philosophie. An Dorothea zeigt:

„Obgleich mir aber auch das, was man gewöhnlich Religion nennt, eins der wunderbarsten, größten Phänomene zu sein scheint, so kann ich doch im strengen Sinne nur das für Religion gelten lassen, wenn man göttlich denkt und dichtet und lebt, wenn man voll von Gott ist, wenn ein Hauch von Andacht und Begeisterung über unser ganzes Sein ausgegossen ist, wenn man nichts mehr um der Pflicht, sondern alles aus Liebe tut, bloß weil man es will, und wenn man es nur darum will, weil es Gott sagt, nämlich Gott in uns.”17

Dieser innere Gott ist also der Grund seines religiösen Gefühls und mit der späteren Erkennung dessen, dass eine neue Mythologie nötig wäre als Grund für die moderne Philosophie und Poesie, kam er allmählich dazu, dass er in der christlichen Mythologie zu finden glaubte, was er gesucht hatte. Bei seiner religiösen Bestimmung der Malerei kann also sein Übertritt zum Katholizismus nicht einfach als Ursache, und seine Erschütterung vor den christlichen Gemälden nicht einfach als Folge betrachtet werden. Es ist auch umgekehrt wahr, er glaubte nämlich wirklich an die Wirkung von Gemälden, von Malerei: „sein Grunderlebnis” war, dass „die Malerei eins der wirksamsten Mittel ist, ... sich mit dem Göttlichen zu verbinden, und sich der Gottheit zu nähern”.18 Weiterhin stellte Schlegel die einfache, malerische Schönheit dem plastischen Schönheitsideal der Winckelmannschen Kunstauffassung entgegen und sprach für eine lokale, nationale Malerei, indem er sagte, dass die „ignorierte deutsche Malerschule”19 für die Deutschen wichtiger, als die italienische sei. Er verwarf alle Arten der Nachahmung20, auch die der Hochrenaissance und schätzte die Maler vor Raffael am höchsten. Raffael, Tizian, Coreggio, Julio Romano und Michelangelo waren „die letzten Maler” für ihn, er meinte, von ihnen „ist das Verderben der Kunst abzuleiten”. Die „fromme Innigkeit und fromme Liebe”21 des jungen Raffael setzte er zum Beispiel dem reifen Meister entgegen und eben diese Einfachheit und Klarheit schätzte er auch in den altdeutschen und flämischen Primitiven, wie bei den Gebrüdern van Eyck, bei Hans Memling, Gerard David, Barendt van Orley, Hugo van der Goes, Jan van Hemessen, Stephan Lochner, bei dem Monogrammisten von Braunschweig, dem Meister von Frankfurt, dem Meister des Bartholomäus-Altars und dem Meister des Lebens Maria. Wie schon erwähnt, hielt er die altdeutsche und altniederländische Malerschule für eine einheitliche Tradition und es ist interessant, wie er die Konstruktion dieser Tradition aufgrund der Charakteristiken von drei Malern vorstellt. Er sagt, Jan van Eyck, Dürer und Holbein seien die epochemachenden Meister in der Geschichte der sog. „deutschen Schule”: „die älteste, und erste Stufe der Kunstentwicklung..., die verständlichste und deutlichste” wäre van Eyck. Für Holbein sei typisch eine „bis zur äußern Glätte und Weichheit vollendet ausgebildete Genauigkeit und Richtigkeit. Eyck und Holbein wären die „zwei entgegengesetzten Äußersten” in deren Mitte Dürer stehe, denn in der Mitte „pflegt das Geheimnisvollste zu wohnen, der Unergründlichste und verwickeltste Tiefsinn.”22

Dieser romantische Umschwung in der Beurteilung der Malerei – der nicht nur von Schlegel rausging, sondern auch von Tieck, Wackenroder, oder Ph. O. Runge – übte eine nachhaltige Wirkung in Deutschland aus, vor allem auf die junge Malergeneration der Nazarener, und bestimmte den deutschen Kunstgeschmack für eine lange Zeit. Schlegel war der „größte literarische Anreger der religiösen Malerei seiner Zeit”, der als erster „eine zusammenhängende theoretische Grundlage der neuen Kunst” gegen die klassizistische Kunstauffassung von Goethes Zeitschrift, der Propyläen in Deutschland „geschaffen hat”.23

 

Anmerkungen

1

Ernst Behler, Friedrich Schlegel, Rowohlt, Hamburg 1988, S.140

2

W. Dilthey, Leben Schleiermachers, 1870, S. 354–356, zitiert von E. Behler, wie oben, S. 60

3

E. Behler, wie oben, S. 35

4

Ebd.

5

Ebd. S.140

6

Fr. Schlegel, Lucinde, in: Friedrich Schlegel, Werke in zwei Bänden, Aufbau-Verlag Berlin und Weimar 1980, Bd. 2, S. 24

7

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe (KA), München-Paderborn-Wien, Verlag F. Schöningh, Thomas Verlag Zürich, Bd. 3.: Charakteristiken und Kritiken II. (1802– 1829), S. 329

8

E. Behler, wie oben, S. 89

9

Ebd. S. 88

10

Ebd.

11

KA Bd. IV, S. XIX

12

KA Bd. IV, S. XXII

13

Ebd.

14

Ebd.

15

KA Bd. IV, S. XXIII

16

Ebd.

17

Fr. Schlegel, Werke in zwei Bänden, Bd. 2, S.112

18

KA Bd. IV, s. XXIII

19

Ebd. s. XXIV

20

Siehe dazu: Das Nachwort von Hans Eichner zu: Friedrich Schlegel, Gemälde alter Meister, Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, S. 214:

„Wie Schlegel in der Literatur ein historisches Phänomen erkannte, das sich zu verschiedenen Zeiten und bei verschiedenen Völkern anders ausprägt, so sah er auch die bildende Kunst. Daraus ergibt sich, dass die Nachahmung der Antike widernatürlich und unproduktiv ist, zumal diese unter einem anderen Gesetz steht als die Moderne: Die Kunst der Alten (sowohl die Poesie als auch die bildende Kunst) ist eine Kunst des Endlichen, die der Neueren des Unendlichen, und da sich das Unendliche nicht direkt darstellen lässt, muss die Kunst der Neueren – bildende Kunst wie Literatur – symbolisch sein. Anders gesagt: Die Kunst der Alten ist in ihrer Grundtendenz plastisch, denn die Plastik stellt jeweils einen begrenzten Gegenstand im vollen Glanz seiner Gegenwart dar. Die Kunst der Neueren aber ist in ihrer Grundtendenz malerisch, denn die Malerei kann den Ausblick ins Unendliche eröffnen und zwischen der Vergangenheit und der Vorahnung der Zukunft schweben. Und daraus folgt, dass die Malerei überhaupt, vor allem aber die der Neueren, malerisch zu sein hat.”

21

KA Bd. IV, S. XXIII

22

Ebd. S. 45

23

Ebd. S. XXV–XXVII

 

Literatur

Ernst Behler: Friedrich Schlegel. Rowohlt, Hamburg 1988

Friedrich Schlegel: Werke in zwei Bänden. Aufbau-Verlag Berlin und Weimar, 1980

Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, Hrsg. von E. Behler unter Mitwirkung von Jean-Jacques Anstett und Hans Eichner, München-Paderbom-Wien, Verlag F. Schöningh, Thomas Verlag Zürich

August Wilhelm és Friedrich Schlegel: Válogatott esztétikai írások, Budapest, Gondolat 1980

Friedrich Schlegel: Gemälde alter Meister, Mit Kommentar und Nachwort von Hans Eichner und Norma Lelless: Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt

Ernst Behler: Friedrich Schlegels Theorie des Verstehens: Hermeneutik oder Dekonstruktion? in: Die Aktualität der Frühromantik, Hrsg. Jochen Hörisch und Ferdinand Schöningh, Paderborn-München-Zürich, 1987

Manfred Frank: Einführung in die frühromantische Aesthetik, Suhrkamp 1989

WiIly Michel: Ästhetische Hermeneutik und frühromantische Kritik, Vandenboeck & Ruprecht, Göttingen 1982

 

Überarbeiteter Text des im Januar 1995 im Europa Institut Budapest gehaltenen Vortrag.