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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 26:47–64.

LAJOS GECSÉNYI

Eine Geschichte in zwei Phasen

Ungarisch-österreichische Beziehungen 1945-1965

 

Ende April/Anfang Mai 1945 erlebten Ungarn und Österreich gleichermaßen eine Zeit der Besinnung, die den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges folgte. Der politische Alltag in Österreich, das nach vielen Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft wieder zu sich kam, und in Ungarn, das bereits erste Schritte auf dem Weg in Richtung Demokratie getan hatte, fand in beiden Ländern unter der strengen Aufsicht der Besatzungsbehörden der Siegermächte statt. Grundlegende politische Gegensätze belasteten das Verhältnis der beiden Länder nicht und auf beiden Seiten bestand die Bereitschaft, die Beziehungen aus der Zwischenkriegszeit wiederherzustellen. Als Alltagsprobleme stellten sich die Ernährung, Unterbringung und Rückführung der ungarischen Kriegsflüchtlinge, die mehrere zehntausend Personen ausmachten, die Sicherung des riesigen verschleppten ungarischen Vermögens sowie – bald daraufhin – der Schutz des österreichischen (deutschen) Vermögens in Ungarn vor den sowjetischen Aneignungsforderungen1. Die vermögensrechtlichen Fragen stellten dann, insbesondere in den ersten Monaten des Jahres 1946, eine derartige Belastung dar, dass sie langfristig eine der wichtigsten Angelegenheiten im Verhältnis zwischen Wien und Budapest blieben. Im Vergleich zu diesen gelangte im Zeitraum bis Herbst 1948 kein einziges Thema von einer ähnlichen Größenordnung auf die Tagesordnung. Die so genannte „Soproner Frage”, also die Kampagne um österreichische territoriale Forderungen, die von verschiedenen Organisationen und Vereinen im Burgenland seit Herbst 1945 eine kurze Zeit lang betrieben wurde, beeinflusste die Situation nicht und die österreichische Regierung distanzierte sich eindeutig von diesen Aktionen2. Die Differenzen, die im Zuge von Handelsgesprächen auftraten, oder das Ausbleiben ungarischer Lebensmittellieferungen gingen mit noch geringeren Reibungen einher3.

Hinsichtlich der offiziellen zwischenstaatlichen Beziehungen strebte das ungarische Außenministerium seit Sommer 1945 danach, möglichst bald eine Vertretung in Österreich einzurichten, um die ungarischen Staatsbürger repräsentieren und die staatlichen Interessen durchsetzen zu können. Obwohl beide Regierungen innerhalb kurzer Zeit die notwendigen Schritte unternahmen, um sich die entsprechenden Genehmigungen zu verschaffen, vergingen infolge des sowjetischen verzögernden Verhaltens zwei Jahre, bis über die notwendigen Zustimmungen der alliierten Kontrollgremien entschieden wurde. Im März 1947 konnten die Büros der „politischen Vertretungen” schließlich in Budapest und Wien eröffnet werden, ein Jahr später wurden die Außenvertretungen dann auf Gesandtschaftsebene erhoben. Ihre Leitung übertrug man dann nur noch auf geschäftsführende Diplomaten4.

Es kam aber auch zu spontanen lokalen Initiativen zur Wiederherstellung der Kontakte. So hielten Vertreter der Gemeinden, die entlang der Grenze lagen, im September 1945 eine Besprechung über die Regelung des Grenzverkehrs ab und trafen eine Vereinbarung über die vorläufige Weiteranwendung der Bestimmungen aus der Vorkriegszeit. In lokalem Rahmen wurde auf ähnliche Weise auch über Fragen des Kleinen Grenzverkehrs, die unter den Aspekten der täglichen Lebensbedürfnisse wichtig waren, verhandelt.

Während sich beide Seiten in zahlreichen Bereichen – in erster Linie mittels Erneuerung verschiedener Verkehrs- und Rechtsabkommen sowie mit der Belebung der Beziehungen in Sport und Kultur – darum bemühten, zum politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungsgefüge der Zwischenkriegszeit zurückzukehren, konnte nach einiger Zeit immer weniger von tatsächlichen Fortschritten gesprochen werden. Hierfür war nicht die begrenzte Souveränität Österreichs ausschlaggebend, sondern vielmehr die Zunahme des sowjetischen Einflusses in Ungarn, die sich verschärfenden internationalen Gegensätze und die Vorzeichen des Kalten Krieges. Eine vollständige Wende in den österreichisch-ungarischen Beziehungen erfolgte in den Jahren 1948/1949, als die ungarische Regierung – parallel zum Einfrieren der ungarisch-jugoslawischen Beziehungen – die lebendigen Beziehungsstränge schrittweise durchtrennte, die Verhandlungen zu verschiedenen Themen unterbrach, den Kleinen Grenzverkehr aufhob, die Mehrzahl der Grenzstationen schloss und die bewaffnete Kontrolle der Westgrenze verschärfte. Im Herbst 1949 ließ sie schließlich – auf improvisierende Weise und unter Schaffung zahlloser Gefahrenquellen – Minenfelder und Drahtverhaue, also einen „Eisernen Vorhang” errichten. Zum Bild der Lage gehörte auch, dass die ungarische politische Polizei mit Unterstützung der sowjetischen Besatzungsbehörden in Österreich ab 1949 immer öfters offene Aktionen gegen die in Österreich lebenden ungarischen politischen Emigranten durchführten5.

Entsprechend den Zuständen während des Kalten Krieges kam es ab 1950 – unabhängig von der Tatsache, dass das östliche Österreich unter sowjetischer Besatzung stand – zu ständigen Grenzzwischenfällen mit Waffeneinsatz, die im folgenden Jahr bereits die Gefahr eines vollständigen Bruches zwischen beiden Ländern in sich bargen. Die diplomatischen Vertretungen beschränkten ihre Aktivitäten im Wesentlichen auf den Austausch von Noten. (In stillem Widerspruch dazu stand, dass 1951 noch immer der Abschluss eines bürgerlichen Rechtshilfeabkommen auf der Tagesordnung stand und Gespräche über das Schicksal der gemeinsamen Eisenbahnstationen im Gange waren.) Der persönliche Kontakt zwischen der Bevölkerung und der Fremdenverkehr hingegen wurde im Wesentlichen beendet. Regelmäßige Beziehungen bestanden lediglich zwischen den kommunistischen Parteien und den kommunistisch beeinflussten Organisationen beider Länder6. Das Verlangen nach einer Normalisierung der Beziehungen äußerte sich unter diesen Umständen im Sommer 1952 zuerst auf Seiten Österreichs, als Generalsekretär Vollgruber aus dem Außenministerium dem ungarischen Geschäftsträger den Vorschlag unterbreitete, Verhandlungen über vermögensrechtliche Fragen zu beginnen und die Grenzzwischenfälle gemeinsam und systematisch zu untersuchen7.

Die Initiative, auf die keine Reaktion folgte, bekam erst dann Sinn, als nach dem Tode Stalins infolge der von der neuen sowjetischen Führung verkündeten Entspannungspolitik auch in der ungarischen Außenpolitik eine langsame Tauperiode einsetzte. Das Außenministerium sendete im August 1953 ihrer Wiener Gesandtschaft eine Anordnung, in der es darauf aufmerksam machte, dass sich die Diplomaten um eine Verbesserung und Ausweitung ihrer Beziehungen bemühen sollten8. Hierauf begannen Verhandlungen zu verschiedenen Sachfragen, vor allem über vermögensrechtliche Themen. Es wurde auch eine konkrete Vereinbarung getroffen, nämlich ein Schifffahrts-Abkommen, dass den freien Schiffsverkehr auf der Donau möglich machte9. Im folgenden Jahr kam es zu Verhandlungen über den Abschluss eines Abkommens über den Pflanzenschutz und über die Regulierung der Grenzflüsse10. Der härteste Abschnitt des Kalten Krieges fand damals sein Ende.

Dies änderte natürlich nichts an der Tatsache, dass der außenpolitische Spielraum der einzelnen osteuropäischen Länder auch weiterhin sehr begrenzt blieb. Charakteristischer Weise berührte der berühmte Beschluss des Zentralkomitees der Partei der Ungarischen Werktätigen (PdUW) vom Juni 1953, der die Politik der Rákosi-Gerő-Clique und vor allem ihre Fehler in der Wirtschaftspolitik scharf verurteilte, außenpolitische Fragen überhaupt nicht11. Dieser Sachverhalt charakterisierte auch das Regierungsprogramm.

Der österreichische Geschäftsträger in Budapest Olivier Ressèguier schrieb in seinem Bericht vom 11. November 1953 an Außenminister Leopold Figl: „In außenpolitischer Hinsicht hat der neue Kurs insofern keine Änderung bringen können, als es eine ungarische Außenpolitik nicht gibt, da die ungarische Regierung, deren Existenz ausschließlich vom Willen der Machthaber in der Sowjetunion abhängt, eine selbstständige Politik nicht verfolgen kann.”12

In den diplomatischen Beziehungen erfolgte ein Jahr später ein wesentlicherer Wandel. Eine Anweisung aus Budapest, die Ende April 1954 ausgegeben wurde, hielt die Gesandtschaft explizit zu verstärkten außenpolitischen Aktivitäten an, und zwar mit dem Ziel, die mit Österreich bestehenden Beziehungen auf diese Weise ausgeglichen zu machen13. Ein unzweifelhaftes Zeichen für Veränderungen war auch, dass auf dem III. Kongress der PdUW im Mai 1954 und im Juni 1954 bei der Haushaltsdebatte im Parlament von einer langsamen Verbesserung des ungarisch-österreichischen Verhältnisses die Rede war. Die Budapester Signale stießen auf Resonanz bei der österreichischen Regierung. Auf der Regierungssitzung vom 22. Juni 1954 wurde der Außenminister bevollmächtigt, die Wiederherstellung normaler diplomatischer Beziehungen zu Ungarn und Polen vorzubereiten. Am 14. Juli 1954 wurde dann die Übereinkunft getroffen, anstelle der Geschäftsträger mit Gesandtenrang gegenseitig Gesandten zu ernennen14. Im Mai 1954 kam es in Wien, vom 1. bis zum 17. September 1954 dann in Budapest zu Verhandlungen über die Handelsbeziehungen. Am 17. September 1954 unterzeichneten beide Seiten ein Warentauschabkommen für die Jahre 1954/ 1955 und ein diesbezügliches Protokoll. Ganz im Sinne des Abkommens kam es daraufhin zu einer Zunahme des Warenverkehrs; Österreich lieferte Budapest Holz, Kunstdünger, Stahl, Walzware und chemische Artikel, während Ungarn Lebensmittel, landwirtschaftliche Produkte und Einrichtungen des Gesundheitswesens in das Nachbarland exportierte15. Österreich bot Ungarn auch einen Kredit in Höhe von einer Million Dollar für den Erwerb von Konsumartikeln an16. Gegenüber all dem war allerdings wesentlich bedeutsamer, dass die Spannungen entlang der ungarisch-österreichischen Grenze im Laufe des Jahres 1954 allmählich abnahmen und sich die Zahl der Grenzzwischenfälle verringerte17.

Für die Österreicher war es nun wichtig, früher offen gebliebene Fragen zu regeln, vor allem die Genehmigung der Übersiedlung von Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Hier, insbesondere aber auf dem Gebiet der Lösung der strittigen wirtschaftlichen und finanziellen Fragen, gelang es vorerst allerdings kaum, Fortschritte zu erzielen. Letzteres berührten mehrere Themenkreise, nämlich österreichische Vermögensgegenstände, die – im Sinne der Entscheidungen der Potsdamer Konferenz – als Teil des deutschen Vermögens in sowjetisches (später ungarisches) Eigentum übergegangen waren, das in Ungarn verbliebene Vermögen der ausgesiedelten Deutschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft erwarben, die Frage der grenzüberschreitenden Doppelbesitzungen und schließlich die verschleppten ungarischen Wertgegenstände, die während des Krieges auf österreichisches Gebiet gelangt waren. Die Behandlung der Finanzfragen, die die Österreicher als eines der Hauptziele bei der Regelung der zwischenstaatlichen Beziehungen betrachteten, wurden im Frühjahr 1954 – entgegen den Erwartungen – aufgrund der zurückhaltenden Einstellung der ungarischen Seite nicht fortgesetzt. Budapest berief sich dabei darauf, dass Österreich kein unabhängiger Staat sei18.

Eine eindeutige Stellungnahme aus dem Munde eines führenden ungarischen Politikers, des Stellvertretenden Ministerpräsidenten András Hegedűs, zugunsten der Normalisierung der Beziehungen zu Österreich verlautete schließlich am 1. Dezember 1954 – vielleicht nicht ganz zufällig – auf der Konferenz in Moskau, die sich mit Fragen des Friedens und der Sicherheit in Europa befasste.

Die Nachrichten aus Moskau hinsichtlich der österreichisch-sowjetischen Verhandlungen, die Unterzeichnung und Inkraftsetzung des Staatsvertrages sowie die gesetzliche Verankerung der „immerwährenden Neutralität” hatten für die ungarische Parteiführung eine besondere Signalwirkung. Die Wende reifte ab April 1955. Seit diesem Zeitpunkt sprachen sich ungarische Politiker sowohl auf der Staats- als auch auf der Parteiebene reihenweise dafür aus, die gutnachbarschaftlichen Beziehungen zu Österreich wiederherzustellen. Mátyás Rákosi, Erster Sekretär der PdUW, erklärte während der Feierlichkeiten, die am 3. April 1955 aus Anlass des 10. Jahrestages der „Befreiung” im Opernhaus abgehalten wurden, dass im Sinne der friedlichen Koexistenz der Staaten mit unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen Ungarn seine Beziehungen zu Österreich verbessern möchte19. Ministerpräsident András Hegedűs begrüßte in seinem Expose als Regierungschef die Moskauer Vereinbarungen. Ähnlich äußerte sich auch Außenminister János Boldoczki während einer Parlamentsrede20.

Ein paar Tage nach den österreichisch-sowjetischen Verhandlungen in Moskau, am 23. April 1955, traf das Politbüro der PdUW, nachdem es sich den Bericht von Rákosi über die in der sowjetischen Hauptstadt unterzeichneten Vereinbarungen angehört hatte, einen Beschluss über die politischen, wirtschaftlichen und militärischen Aufgaben nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages21. Diesem Schritt folgten in den nächsten anderthalb Monaten – vermutlich gerade wegen der durch die ungewohnte neue Lage verursachten Unsicherheiten – neuerliche Beschlüsse. Am 23. Juni 1955 kam eine Vorlage des Außenministeriums, die 22 Punkte enthielt und alle Bereiche der Beziehungen berührte, zum ersten Mal vor das Politbüro. Mit dem Hinweis, dass das Dokument zuerst mit den betroffenen Ministerien abgestimmt werden müsse, wurde es allerdings nach kurzer Diskussion von der Tagesordnung genommen22. Eine Woche später, am 30. Juni 1955, behandelte das Politbüro dennoch den Bericht von Außenminister Boldoczki zusammen mit den Beziehungen zu Jugoslawien und Westdeutschland als Teil des Tagesordnungspunktes „Die internationale Situation und unsere sich daraus ergebenden Aufgaben”. Die sich auf Österreich beziehenden Punkte des Beschlusses beinhalteten politische, wirtschaftliche und kulturelle Aufgaben, so – unter anderem – die Ausreisegenehmigung für Personen mit österreichischer oder doppelter Staatsbürgerschaft aus Ungarn, die Begnadigung verurteilter österreichischer Staatsbürger, die Abwicklung von Verhandlungen über vermögensrechtliche Fragen, die Ausweitung des Warenverkehrs, die Erweiterung der Kooperation auf den Gebieten Verkehr und Landwirtschaft, die Zusammenstellung eines gemeinsamen kulturellen Arbeitsplans, die Ausweitung der literarisch-künstlerischen und der wissenschaftlichen Beziehungen sowie – nicht zuletzt – die Entsendung eines ungarischen Archivdelegierten nach Wien23. Der gute Wille der ungarischen Regierung sowie ihre Verpflichtung in der Angelegenheit ist nachweisbar. Am 27. Juni 1955 ließ sie Wien auf diplomatischem Wege mitteilen, dass Ungarn im Laufe des Herbstes bereit sei, die im Herbst 1953 abgebrochenen Verhandlungen über vermögensrechtliche Themen wieder aufzunehmen24 und lud eine österreichische Parlamentsdelegation zu einem Besuch nach Ungarn ein.

Die führenden Politiker Österreichs richteten in dieser Zeit ihre Aufmerksamkeit in erster Linie auf die Verhandlungen über den Staatsvertrag, so dass sie sich im Frühjahr 1955 den ungarischen Erklärungen nicht annahmen25. Ihre Bereitschaft zu Verhandlungen bekräftigten sie nach der Unterzeichnung des Staatsvertrags mehrmals in der Programmerklärung der zweiten Raab-Regierung, die ihr Amt am 3. Juli 1955 antrat. Unter anderem sprachen sie die Möglichkeit der Erweiterung der Wirtschaftsbeziehungen und der Entwicklung der Zusammenarbeit auf kulturellem Gebiet an26.

Am 6. Juli 1955, zwölf Tage vor dem Gipfeltreffen in Genf, empfing der Erste Sekretär der PdUW Mátyás Rákosi auf Bitten von Karl Braunias den österreichischen Gesandten. Damit kam es erstmals auf dieser Ebene zu einem offiziellen Treffen eines österreichischen – und überhaupt eines westlichen – Diplomaten mit einem ungarischen Parteiführer. Bei dem Treffen, das in guter Atmosphäre stattfand, warf Braunias alle wesentlichen Fragen auf, die die bilateralen Beziehungen betrafen, insbesondere aber die Österreich am meisten interessierenden Angelegenheiten, nämlich die Regelung der Situation der Personen mit doppelter Staatsbürgerschaft und die Lösung der vermögensrechtlichen Fragen sowie die Normalisierung der Situation an der ungarisch-österreichischen Grenze. Daneben drängte der österreichische Gesandter auch auf Erleichterungen in der ungarischen Visapolitik, weil die Aufrechterhaltung der bisherigen Praxis die Entwicklung der wirtschaftlichen, kulturellen und sportlichen Beziehungen behindere. Zudem schlug er vor, weitere Grenzübergänge zu öffnen. Rákosi erklärte, dass die ungarische Seite nach dem Abschluss des Staatsvertrags und der Deklaration der Neutralität zahlreiche Möglichkeiten zur Normalisierung des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern sehe und unterstrich bei mehreren Gelegenheiten nachdrücklich, dass die ungarischen offiziellen Organe alles unternehmen würden, um die ungarisch-österreichischen Beziehungen zu verbessern und zu vertiefen. Er versprach, die aufgetretenen Probleme zu lösen, betonte aber vor allem das Ziel, die wirtschaftlichen Beziehungen auszuweiten. Besonderes Interesse zeigte er hinsichtlich der Möglichkeit des Imports von Strom und Holz. Für die gute Atmosphäre des Gesprächs war bezeichnend, dass Rákosi erwähnte, dass er gerne nach Wien reisen würde, wo er in seiner Jugend oftmals gewesen sei27.

Während das Politbüro der PdUW im Zeichen der Doppelgesichtigkeit am 7. Juli 1955 beschloss, den 354 Kilometer langen Grenzabschnitt zu Österreich militärisch zu verstärken28, wurden seitens des Außenministeriums immer wieder neue Vorschläge und Gedanken zur Beschleunigung der Regelung der Beziehungen aufgeworfen. Ein wichtiger Bestandteil der tatsächlichen Veränderungen war, dass die ungarischen Behörden im Laufe der Monate September/Oktober 1955 die vormals strengen Vorschriften für die Ausgabe von Ein- und Ausreisegenehmigungen lockerten. Zum 100. ungarisch-österreichischen Fußballspiel am 16. Oktober 1955 kamen 4.000 Fans aus Wien nach Budapest, d.h. mehr Österreicher, als in den vorangegangenen fünf Jahren die ungarische Hauptstadt besucht hatten. Diese ersten ernsthafteren Zugeständnisse wurden von österreichischer Seite sofort gewürdigt29.

Die Situation an der österreichisch-ungarischen Grenze normalisierte sich im Herbst 1955 und die ungarische Grenzwache unterließ provokative Schießereien. Diese Entspannung erfolgte trotz der Tatsache, dass nach der Unterzeichnung des Staatsvertrages die Zahl der illegalen Grenzübertrittsversuche von Monat zu Monat anstieg und ein Teil von ihnen auch erfolgreich war30. Die Existenz des Minengürtels verursachte auf österreichischer Seite allerdings auch weiterhin ernste Bedenken. Im Oktober 1955 wurde schließlich, nachdem ungarische Grenzsoldaten eine schwere Grenzverletzung begangen hatten, auf ungarischen Vorschlag hin eine gemeinsame ad hoc Kommission zur Untersuchung der Angelegenheit eingerichtet. Nach den Gesprächen verständigte man sich auf österreichische Initiative dazu, dass beide Delegationen ihrer Regierung vorschlagen sollten, einen ständigen gemischten Ausschuss zu Untersuchung von Grenzverletzungen aufzustellen31.

In Budapest löste die Rede von Kanzler Raab, die er bei der Vorlage des Neutralitätsgesetzes am 26. Oktober 1955 im Wiener Parlament hielt und in der er sich anerkennend über die Entwicklung der ungarisch-österreichischen (und der tschechoslowakisch-österreichischen) Beziehungen äußerte, positive Reaktionen aus. In Wien wurde begrüßt, dass Budapest relativ schnell auf die gesetzliche Kodifizierung der „immerwährenden Neutralität” reagiert und noch vor der Sowjetunion und anderen Staaten den neuen internationalen Status Österreichs bereits als fünftes Land anerkannt hatte. Im Januar 1956 wurden zu insgesamt 44 politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Themenbereichen Gespräche auf verschiedenen Ebenen geführt oder erfolgreich abgeschlossen.32.

In der sich international weiter entspannenden Atmosphäre des Jahres 1956, insbesondere nach dem XX. Parteitag der KPdSU, entwickelten sich die ungarisch-österreichischen Beziehungen immer intensiver und vielschichtiger. Am 23. Januar 1956 wurden in Wien hochrangige Verhandlungen über die vermögensrechtlichen Fragen geführt. Deren Ergebnis war, dass zur Klärung einzelner Sachfragen Expertenkommissionen eingesetzt wurden33. Außerdem wurde mit dem Ausbau der unmittelbaren Beziehungen zwischen den Grenzgebieten sowie zwischen dem Burgenland und den westungarischen Komitaten begonnen, es wurden Schritte zur Belebung des Fremdenverkehrs unternommen und neue Grenzübergänge eröffnet.

Ein entscheidender und in seiner Art beispielloser Fortschritt war, dass die ungarische Regierung – aufgrund einer Stellungnahme des Politbüros der PdUW vom 9. März 1956 – am 9. Mai 1956 beschloss, die sog. „technischen Sperren” (Stacheldrahtverhaue und Minenfelder) an der westlichen Grenze Ungarns zu beseitigen.34 Nach den Plänen sollten diese Maßnahmen bis Ende September 1956 abgeschlossen sein. Diese unerwartete und überraschende Entscheidung, die ein großes internationales Echo auslöste, zog allerdings das Missfallen der kommunistischen Parteien in den Nachbarstaaten nach sich35. Die Vorlage über das österreichisch-ungarische Verhältnis, die im Juli 1956 vor das Kollegium des Außenministeriums gelangte, bewertete nicht nur die innerhalb eines Jahres erzielten Ergebnisse positiv, sondern entschied auch über die Aufgaben, die sich auf alle Teilbereiche der zwischenstaatlichen Beziehungen erstreckten, und sogar über das Verhältnis, das zur Sozialistischen Partei Österreichs (SPÖ) entwickelt werden sollte36.

Zur Verwirklichung dieser Pläne und Vorstellungen hatte die ungarische Regierung aufgrund der sich auftürmenden inneren Krise und ihres Ansehensverlustes allerdings nicht mehr genug Kraft. Daher kam es schon vor dem 23. Oktober 1956 nicht mehr zur Kontaktaufnahme zwischen hochrangigen Politikern beider Länder, zum gegenseitigen Besuch von Regierungs- und Parlamentsdelegationen sowie zum Abschluss umfassender Abkommen37. Dies änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass der Brückenschlag der ungarischen politischen Führung Richtung Westen – zweifellos mit sowjetischer Unterstützung – grundlegende Ergebnisse versprach und in den Monaten vor dem Beginn der Revolution – zumindest im Falle des neutralen, allerdings der westlichen Welt verpflichteten Österreichs – die Möglichkeit einer offeneren Außenpolitik schuf. Dies konnte aber – im Gegensatz zu den heimlichen Hoffnungen eines Teils der ungarischen Öffentlichkeit – keinesfalls bedeuten, dass sich Ungarn auf den Weg zur Gewinnung eines neutralen Status begeben hatte, denn dies hätte die „Entlassung” aus dem sowjetischen Machtblock vorausgesetzt38.

Im Lichte der positiven Vorgeschichte war besonders verständlich, dass die österreichische Bevölkerung als erste den Opfern der revolutionären Ereignisse, die am 23. Oktober 1956 begannen, zu Hilfe eilte und massenhafte Medikamenten- und Lebensmittellieferungen nach Ungarn in Gang setzte. Auf dem Höhepunkt der Revolution, am 28. Oktober 1956, sah es die österreichische Regierung als ihre moralische Pflicht an, einen Aufruf an die sowjetische Regierung zur Beendigung der Kämpfe in Ungarn zu richten. In den folgenden Wochen war Österreich Initiator und beständiger Unterstützer von Anträgen in der UNO, die eine Untersuchung der Lage in Ungarn forderten und die Anerkennung des Mandats der UN-Delegation in Ungarn verlangten.

Dieses Verhalten brachte bei den sowjetischen Führern vermutlich die „Idee” hervor, unter die – von ihnen definierten – Gründe der Revolution in Ungarn den Vorwurf der Unterstützung durch die Westmächte und der subversiven Aktivität der rechten ungarischen Emigration in Österreich „hereinzuschmuggeln”. Während sie so starken politischen Druck auf den militärisch neutralen, aber eindeutig westlich orientierten österreichischen Staat ausübten, der sich den europäischen Integrationsprozessen anschließen wollte, unternahmen sie auch den Versuch, die tatsächlichen Gründe für den Ausbruch der Revolution zu verschleiern39. Von da an spielte Ungarn eine gute Zeit lang eine zentrale Rolle bei den sowjetischen Angriffen gegen Österreich.

Die ersten Angriffe gegen die österreichische Regierung wurden in Moskau bereits am 28. Oktober 1956 formuliert und gelangten in den folgenden Wochen bis zum Forum der Vereinten Nationen. Zur Verschärfung des Konflikts trug auch die wachsende Flut ungarischer Flüchtlinge sowie die damit verbundenen häufigen Grenzverletzungen und – nicht zuletzt – die beispiellose österreichische Hilfe für die Flüchtlinge wesentlich bei. Letzteres, sowie die eindeutige und entschiedene Stellungnahme der österreichischen bürgerlichen und sozialistischen Presse gegen die blutige Unterdrückung der Revolution erzürnte auch die neue Regierung unter János Kádár. Zur Verschärfung der Spannungen bzw. zur Zunahme der sowjetischen Angriffe auf das neutrale Österreich trug zudem bei, dass die Vereinigten Staaten sich in zunehmendem Maße an der Bewältigung des Flüchtlingsproblems beteiligten. Die Angriffe Moskaus erreichten einen Höhepunkt, als Vizepräsident Richard Nixon bei seiner Österreich-Reise vom 19. bis 21. Dezember 1956 die österreichisch-ungarische Grenze bei der legendären Brücke von Andau besuchte.

In diesem Zusammenhang ist der Beschluss der ungarischen Regierung vom 8. Januar 1957 zu verstehen, die Bewachung der westlichen Staatsgrenze – unter Berufung auf die „Gefahr des Herüberwerfens (sic!) feindlicher Agenten” – zu verstärken. Am 24. Januar 1957 informierte Kádár daraufhin den Ministerrat, dass zu Verhinderung unerlaubter Grenzübertritte und des „Einsickerns feindlicher Agenten” der Grenzschutz an der westlichen und südlichen Grenze sog. „technische Sperren” aufbaue, dass also der im Sommer 1956 abgebaute „Eiserne Vorhang” wiedererrichtet werde40. Eine neue und ziemlich bedeutende Quelle für Spannungen wurde dadurch geschaffen, dass der österreichisch Kanzler Raab in einer Radioansprache am 20. Januar 1956 – zweifellos von Illusionen geleitet – die Möglichkeit aufwarf, für Ungarn nach österreichischem Muster einen neutralen Status zu schaffen. Diesbezüglich schlug er vor, die Angelegenheit im Rahmen einer Konferenz der Großmächte über die Frage der Verringerung der Streitkräfte und der Bewaffnung zu erörtern41.

In dieser gespannten Lage war die Tatsache von unverhältnismäßig großer Bedeutung, dass der österreichische Ministerrat mit seinem Beschluss auf der Sitzung vom 5. Februar 1957 zeitweilig die offiziellen Kultur- und Sportbeziehungen suspendierte42. Dieser lediglich als übergangsweise Beschränkung gedachte österreichische Schritt führte zu den bislang heftigsten Zusammenstößen zwischen den beiden Ländern. Von da an entwickelte sich zwei Monate lang ein „Grabenkrieg” zwischen Österreich und Ungarn, der mit dem Wechsel scharfer Noten sowie mit ungarischen Schritten, die eine Provokation für die österreichische Diplomatie bzw. für das ganze politische Leben Österreichs darstellten, verbunden war.

Nach diesen Vorgängen wurde die österreichische öffentliche Meinung von der Verstärkung der Bewachung der ungarisch-österreichischen Grenze, genauer gesagt von der erneuten Errichtung einer Minensperre unterrichtet. Die Wiedererrichtung des „Eisernen Vorhangs” führte allerdings, auch wenn er zu einem langjährigen Krisenherd in den beiderseitigen Beziehungen wurde, zu keiner Verschärfung der augenblicklichen Lage. Im April 1957 erfolgte nämlich der – im November 1956 abgesagte – Besuch des stellvertretenden sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas I. Mikojan in Wien, der sowohl die ungarische als auch die österreichische Regierung dazu ermahnte, ihre Beziehungen zu regeln.43 Dies bewirkte letztlich, dass die Wiener Außenpolitik, auch wenn sie heftig gegen die Minenfelder protestierte, im wesentlichen zur Kenntnis nahm und akzeptierte, dass die Frage der „technischen Sperre” eine innere Angelegenheit Ungarns war. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass sich erneut herausstellte, dass sich der mit Tretminen und Drahthindernissen versehene Streifen an zahlreichen Stellen auch auf österreichisches Gebiet erstreckte oder so nahe an der österreichischen Grenze verlief, dass er das Leben der Grundstücksbesitzer entlang der Grenze und das von neugierigen Touristen oder verirrten Tieren gefährdete.

Die Überwindung des toten Punktes wäre auch deshalb wichtig gewesen, weil sich im Sommer 1957 ein Konfliktherd zwischen beiden Ländern aufgebaut hatte, der nicht nur die tagtäglichen Beziehungen kontinuierlich gefährdete, sondern auch nicht zur Leitlinie der sowjetischen Außenpolitik passte, die das friedliche Nebeneinander der beiden Weltordnungen verkündet hatte. Die Gelegenheitstreffen der Außenminister im Spätherbst 1957 und 1958 führten trotz alledem nicht zu wesentlichen Veränderungen, obgleich bei den alltäglichen Kontakten von österreichischer Seite aus – nicht zentral gelenkte, sondern den direkten Interessen entsprechend burgenländische bzw. ländermäßige – wirtschaftliche Initiativen und Versuche, wissenschaftliche und kulturelle Beziehungen zu entwickeln, in Erscheinung traten. Die Länderregierung und die politischen Parteien des Burgenlandes traten von nun an in verschiedener Weise und immer häufiger zugunsten einer Beschleunigung der Entspannung ein und nahmen diesbezüglich auch in Kauf, mit den außenpolitischen Vorstellungen der Bundespolitik in Konflikt zu geraten.44

Im Lichte all dessen erhielt die Tatsache besondere Bedeutung, dass 1959 – parallel zu den Veränderungen, die in der internationalen Beurteilung Ungarns spürbar wurden45 – schnelle und bedeutende, im wesentlichen bereits seit langer Zeit vorbereitete Schritte auf dem Weg zur Normalisierung erfolgten. Das österreichische Parlament ratifizierte das bereits 1956 unterschriebene Wasserwirtschaftsabkommen, und es wurden ein Abkommen über den Lastentransport auf den Landstraßen sowie ein Luftverkehrsvertrag abgeschlossen. Das wichtigste Ereignis war, dass im Oktober 1959 ein umfangreicheres dreijähriges Warentauschabkommen unterzeichnet wurde. In dieses wurde auch die industrielle Zusammenarbeit mit Drittländern „eingebaut”. Große Bedeutung hatte auch, dass die vermögensrechtlichen Unterredungen, die 1956 abgebrochen worden waren, auf der Expertenebene weitergeführt wurden. Außerdem begann die Vorbereitung von Abkommen zum Pflanzenschutz und zur Tiergesundheit sowie von Rechtshilfe- und sozialpolitischen Vereinbarungen. Auf Druck von österreichischen Wirtschaftsgruppierungen, die an der Entwicklung der Handelsbeziehungen zu Ungarn interessiert waren, reiste im Frühjahr 1960 eine Regierungsdelegation unter dem burgenländischen Landeshauptmann Johann Wagner zur Internationalen Messe nach Budapest. Der Delegation gehörte auch Ex-Außenminister Karl Gruber an. Auch von Seiten Ungarns reisten immer mehr Delegationen (aus den Bereichen Gewerkschaft, Sozialversicherung, Lebensmittelindustrie und Genossenschaften) nach Österreich. Die effektivste Veränderung erfolgte bei der Erneuerung der regelmäßigen Sportveranstaltungen, bei der Initiierung von Journalistentreffen und bei der Neuorganisation von kulturellen Veranstaltungen unterhalb der offiziellen zwischenstaatlichen Ebene.

Auf dem bereits traditionellen Außenministergespräch im Oktober nahm Bruno Kreisky 1960 die Einladung von Endre Sík an und begab sich in die ungarische Gesandtschaft, d.h. er betrat – rechtlich gesehen – ungarischen Boden. Hintergrund des veränderten Verhaltens bildete vermutlich der Wandel, der in der österreichischen Innenpolitik festzustellen war, nämlich die Stärkung von Kreisky (bzw. Vizekanzler Pittermann) und der Austritt von Minister Helmer aus der Regierung, d.h. die innerhalb der Führung der Sozialistischen Partei Österreichs erfolgenden Kräfteverschiebungen, die der Kádár-Regierung vorteilhaft erschienen46. Andererseits signalisierte der Rücktritt von Julius Raab von der Spitze der Österreichischen Volkspartei und damit seine Schwächung in der Regierung ein Hervortreten der konservativen bürgerlichen Kräfte sowie den möglichen Beginn eines härteren Kurses gegenüber der kommunistischen Führung in Ungarn47.

Die Grenzen der Normalisierung des österreichisch-ungarischen Verhältnisses offenbarten sich dann gerade bei den Verhandlungen von Sík und Kreisky. Nachdem beide über die im Bereich der Wirtschaft erzielten Ergebnisse und über die offenen Fragen gesprochen hatten, brachte Kreisky die seit langem eindeutige österreichische Auffassung offen zum Ausdruck, dass es für einen grundlegenden Wandel des Verhältnisses zwischen den beiden Ländern und für eine Regelung auf Regierungsebene notwendig sei, die politische Atmosphäre in Ungarn zu verändern. Sollte dies nicht erfolgen, hielt er auch die Annahme einer Einladung nach Budapest für unmöglich. Vermutlich auf Veranlassung der amerikanischen Diplomatie versuchte er den ungarischen Außenminister davon zu überzeugen, wie wichtig es sei, dem obersten Beauftragten der UNO Sir Leslie Munro zu ermöglichen, sich über die Lage in Ungarn zu informieren. Zudem bot Kreisky an, bei der Lösung der Angelegenheit von Kardinal Mindszenty zu vermitteln48. Kurz nach dem Treffen stimmte die österreichische Delegation bei den Vereinten Nationen – trotz des Drucks der Sowjetunion49 – erneut gegen die Anerkennung des ungarischen Mandats.

Es muss im Zuge weiterer Forschungen geklärt werden, unter welchen Umständen im Sommer 1960 – abgesehen von den Auswirkungen der Konflikte zwischen den Großmächten, insbesondere der Krise um den Abschuss eines amerikanischen Spionageflugzeugs über der Sowjetunion – die Normalisierungsbestrebungen scheiterten. Tatsache ist, dass sich ab August 1960 die bewaffneten Provokationen entlang der Grenze, die von Seiten Ungarns ausgingen, sowie die damit verbundenen Notenwechsel und Regierungserklärungen erneut wesentlich zunahmen und es wiederum zu einem Pressekrieg kam. Die Entwicklung der Beziehungen erreichte im Laufe der Monate November/ Dezember 1960 ihren Tiefpunkt.

Diese Periode, die einerseits durch Besuche auf höherer oder niederer Ebene, durch eine wechselhafte, insgesamt aber nicht abnehmende Wirtschaftskooperation, durch wachsenden Fremdenverkehr und durch eine größere Zahl an wissenschaftlichen und kulturellen Veranstaltungen geprägt war, andererseits aber mit bewaffneten Grenzzwischenfällen, mit dem Aufbau eines militärischen „Festungssystem” auf der österreichischen Seite der Grenze50, mit diplomatischen Notenwechseln51 und gegenseitigen Angriffen in der Presse einherging, sollte nahezu zwei Jahre andauern. Während die Wirtschaftsdiplomatie unverändert eine entscheidende Rolle spielte, brach im Sommer 1961 das Eis und es begannen konkrete Verhandlungen über die Lösung der grenzbezogenen Fragen52. Demgegenüber war es – zumindest politisch – ein spektakuläreres Ereignis, dass Ex-Kanzler Julius Raab im Mai 1962 als Präsident der Österreichischen Industrie- und Handelskammer – unter Missachtung der Kritik der österreichischen Presse – zwei Tage lang an der Spitze einer Delegation die ungarische Hauptstadt aus Anlass der Internationalen Messe in Budapest besuchte und im österreichischen Pavillon der Messe die dorthin kommenden ungarischen Politiker begrüßte53. Im Sommer 1962 besuchten die Mitglieder der burgenländischen Landesregierung – ohne Unterschiede zwischen den Parteien – zwei Tage lang Sopron und verhandelten mit der politischen Führung des Komitats Győr-Sopron über die Beziehungen im Grenzgebiet.54 Am 20. September 1962 stimmte der ungarische Ministerrat zu, die 1956 unterbrochenen Verhandlungen des vermögensrechtlichen Hauptausschusses auf österreichische Initiative hin fortzusetzen. Damit eröffnete sich die Möglichkeit, eine der bedeutendsten Belastungen im bilateralen Verhältnis zu regeln55. Kurze Zeit später kam es zur Unterzeichnung eine fünfjährigen Handels- und Zahlungsabkommens. Die internationale Situation, die infolge des Baus der Berliner Mauer und der Kuba-Krise entstand, wirkte sich nicht mehr sichtbar auf die positive Entwicklung der Beziehungen aus56.

Ein 1962 – ohne nähere Bestimmung des Zeitpunkts – erstellter zusammenfassender Bericht, der den Titel „Die Außenpolitik der Volksrepublik Ungarn und ihre Beziehungen zu den wichtigsten Ländern” trug, enthielt nicht nur eine positive Beurteilung der internationalen Lage Ungarns, sondern bestimmte unter den Hauptzielen an erster Stelle die Normalisierung der Beziehungen zu Österreich, Großbritannien, Frankreich und Italien, wobei die Republik Österreich besondere Erwähnung fand57. Kurz bevor die Vollversammlung der Vereinten Nationen im Dezember 1962 das Mandat des UN-Beauftragten Sir Leslie Munro zur Untersuchung der „ungarischen Frage” aufhob, stellte János Kádár auf dem VIII. Kongress der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (USAP) fest58, dass man danach strebe, mit Österreich gutnachbarschaftliche Beziehungen herzustellen, und eine nützliche Kooperation zwischen den beiden Ländern möglich sei, da keine Interessenunterschiede bestünden.

Im Laufe des Jahres 1963 wurden regelmäßig politische Treffen auf hoher Ebene abgehalten. So besuchten Anfang Mai 1963 Vizekanzler Bruno Pittermann als Regierungsmitglied, das die Aufsicht über die verstaatlichte Industrie ausübte, und Handelsminister Fritz Bock an der Spitze einer Delegation von Geschäftsleuten Budapest zur Eröffnung der Internationale Messe. Die Beschlüsse des Politbüros der USAP vom 21. Dezember 1963 und vom 16. Juni 1964 über den Abschluss der vermögensrechtlichen Verhandlungen59 räumten dann endgültig die letzten Hindernisse für weitere Sachabkommen und für die Erweiterung der wirtschaftlichen und politischen Kooperation beiseite60. Der Besuch von Jenő Fock, Erster Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrats, in Österreich im Juni 1964 fand bereits unter diesem Zeichen statt. Die Atmosphäre wurde auch durch den Politbüro-Beschluss vom 28. Juli 1964 positiv beeinflusst, die Ausgabe von Visa zu erleichtern61.

Den Höhepunkt des Prozesses bedeutete aber zweifellos der Budapest-Besuch einer umfangreichen österreichischen Delegation unter Führung von Bruno Kreisky Ende Oktober 1964. In seiner Rede über die Grundprinzipien der österreichischen Außenpolitik an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften betonte Kreisky zu Recht, dass die österreichisch-ungarischen Beziehungen nun in eine neue Phase eingetreten seien.62 Hintergrund hierzu bildeten die Verhandlungen in einer sichtlich entspannten Atmosphäre, die Treffen mit den führenden Politikern, die Unterzeichnung von drei bedeutenden Abkommen (eines über vermögensrechtliche Fragen und zweie über Regelungen zur Grenzfrage), die Expertengespräche über weitere Pläne hinsichtlich der bilateralen Beziehungen sowie die Aufwertung der Außenvertretungen in den Rang von Botschaften. Einen bleibenden positiven Eindruck auf den österreichischen Außenminister machte die Unterredung, die er mit János Kádár über allgemeine internationale Zusammenhänge führte. Kádár bekräftigte dabei, dass die Ablösung von Nikita Chruschtschow von der Spitze der KPdSU keine Veränderung in den Grundlinien der ungarischen Außenpolitik bewirke. Diese Aussage wurde durch die Gespräche bestätigt, die Vizekanzler Bruno Pittermann anlässlich seines Budapest-Besuchs im Januar des folgenden Jahres führte63, sowie – kurz darauf – durch die politischen Entscheidungen vom März und Mai 1965 über die Beseitigung der veralteten Minenfelder an der Grenze und über den – mehrere Jahre andauernden – Aufbau einer elektronischen Signalanlage64. Der Gegenbesuch von Außenminister János Péter in Wien signalisierte dann den endgültigen Abschluss der konfliktvollen Zeit nach 1956. Beim Besuch von Péter kam ein Abkommen über die Streichung der Visumspflicht für Inhaber der Diplomatenpässe zustande und es wurde ein entsprechender ministerieller Briefwechsel unterschrieben. Außerdem unterzeichnete man Abkommen zu Zoll- und Passfragen, Rechtshilfe- und Erbrechtsvereinbarungen, ein Autobusverkehrsabkommen und tauschte Urkunden zur Bekräftigung der Grenzverträge aus. Das gemeinsame Kommuniqué betonte schließlich die Vorteile eines Abkommens über den Austausch von elektrischer Energie für die Zukunft65.

Die Normalisierung der österreichisch-ungarischen Beziehungen auf breiter Grundlage wurde – vor dem Hintergrund einer für die ungarische Seite günstigen Entwicklung der internationalen Lage – durch die schnelle Regelung der beiderseitigen Probleme möglich gemacht. Offensichtlich spielte hierbei auch eine oberflächliche Nostalgie hinsichtlich der gemeinsamen Vergangenheit eine Rolle66. Den entscheidenden Faktor aber bedeuteten die auf beiderseitigen Vorteilen beruhende wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Ausnutzung der Möglichkeiten des – von Wien verkörperten – internationalen diplomatischen Spielraums67.

 

Anmerkungen

1

Zum ungarischen Vermögen siehe Magyar Országos Levéltár [Ungarisches Staatsarchiv], (MOL) XIX-J-1-k Ausztria 23/g KüM 136/1946. 7. Mai 1946, Zu den sowjetischen Forderungen siehe László Borhi, A vasfüggöny mögött. Magyarország nagyhatalmi erőtérben 1945-1968 [Hinter dem Eisernen Vorhang. Ungarn im Kräftefeld der Großmächte 1945-1968], Budapest 2000, S. 20 f.

2

Vgl. Klaus Fiesinger, Ballhausplatz-Diplomatie 1945-1949. Reetablierung der Nachbarschaftsbeziehungen und Reorganisation des Auswärtigen Dienstes als Formen außenpolitischer Reemanzipation Österreichs, München 1993, S. 309-312.

3

Zur Aufnahme unmittelbarer Kontakte kam es zuerst auf wirtschaftlichem Gebiet. Im August 1945 wurde von Privatfirmen ein Abkommen geschlossen. Dieses bestimmte, dass ungarische Unternehmen – auf Kompensationsbasis für Grubenholz – Kohle an das Nachbarland, das mit schweren Problemen mit dem Heizmaterial kämpfte, liefern sollten. Einige Monate später begannen auch zwischenstaatliche Verhandlungen über ein einjähriges Warentauschabkommen, durch das – neben dem Export von Rohstoffen und industriellen Halbfertigprodukten – vor allem der ungarische Lebensmittelexport aktiviert werden sollte.

4

Siehe Lajos Gecsényi, A budapesti osztrák képviselet jelentéseiből 1946-1947 [Aus den Berichten der österreichischen Vertretung in Budapest 1946-1947], in: Levéltári Szemle 42 (1992), H. 1, S. 57-76; Ders., Magyar-osztrák kapcsolatok 1955-1956 [Ungarisch-österreichische Beziehungen 1955-1956], in: Társadalmi Szemle 50 (1995), H. 10, S. 78-90.

5

Ders., Omega jelenti. ÁVÓ contra osztrák elhárítás. [„Omega” berichtet. Ungarische Staatspolizei gegen österreichische Spionageabwehr], in: História 15. (1993) Nr. 1. S. 11-12.

6

1949 nahm Vorsitzender der Partei-Kontroll-Kommission Károly Kiss in Vertretung der Partei der Ungarischen Werktätigen (PdUW) an den Feierlichkeiten der österreichischen Kommunisten (KPÖ) zum 1. Mai teil. Interessanter Weise entsandte aus Osteuropa neben der PdUW nur die polnische KP einen Vertreter zu der Veranstaltung (Bericht von Károly Kiss, 3. Mai 1949; MOL, M-KS 276.f./65/123.ő.e.). Im Mai 1951 reiste ZK-Mitglied und Justizminister Erik Molnár in die österreichische Hauptstadt, um an den Feierlichkeiten zum 60. Geburtstag des KPÖ-Vorsitzenden Johann Koplenig und am Wiener Jugendtreffen teilzunehmen (Bericht von Erik Molnár, Budapest 1951; MOL, M-KS 276.f.65/218.ő.e.). Im November 1951 reiste eine zweiköpfige Delegation unter Führung von István Hidas, Kandidat des Politbüros der PdUW und Sekretär des Parteikomitees der Hauptstadt, zum XV. Parteitag der KPÖ (Bericht von István Hidas, 12. November 1951; MOL, M-KS 276.f.65/123.ő.e.).

7

Bericht des Geschäftsträgers Tamás Mátrai (MOL, XIX-J-1-k Ausztria 29/f KüM 0861/1952).

8

MOL, XIX-J-1-k Ausztria 5/f KüM 09308/1953. „Das neue Österreich verfügt über ein diplomatisches Netz, das sich auf die ganze Welt erstreckt. Aufgrund dessen ist Wien auch ein wichtiges diplomatisches Zentrum, wo auch die Diplomaten der beiden Weltlager in Kontakt treten. Dies ist im Hinblick auf die Beziehungen unserer Gesandtschaft von Bedeutung.” László Borhi setzt die „Öffnung” auf die Zeit nach dem XX. Parteitag der KPdSU an (siehe Borhi, A vasfüggöny mögött, S. 98), während Csaba Békés darauf verweist, dass die ungarische Führung auch bereits vor 1953 den Versuch unternahm, Beziehungen zum Westen aufzubauen (siehe Csaba Békés, Európából Európáig. Magyarország konfliktusok kereszttüzében, 1945-1990 [Von Europa nach Europa. Ungarn im Kreuzfeuer der Konflikte, 1945-1990], Budapest 2004, S. 134.

9

Die Verhandlungen zwischen Ungarn und Österreich über die Frage der Donauschifffahrt begannen im September 1952. Die Verhandlungen über die Sachinhalte fanden vom 27. April bis zum 12. Mai 1953 statt. Sie endeten mit der Ausarbeitung der Vereinbarung und der Unterzeichnung eines Protokolls. Die Vereinbarung wurde von den beiden Regierungen am 16. Mai 1953 angenommen (vgl. Szabad Nép, 14. Mai 1956; MOL, XIX-J-1-j 1. doboz 1/b. 002545/1955. sz.).

10

Zusammenfassender Bericht der ungarischen Gesandtschaft über das Jahr 1954 (MOL, XIX-J-1-j-1. doboz 1/b. 002545/1955).

11

Zum Beschluss der PdUW-Führung vom 27./28. Juni 1953 siehe Lajos Izsák (Hrsg.), A Magyar Dolgozók Pártja határozatai, 1948-1956 [Beschlüsse der Partei der Ungarischen Werktätigen, 1948-1956], Budapest 1988, S. 188-212.

12

Österreichisches Staatsarchiv (ÖStA), Archiv der Republik (AdR) BKA/AA Pol.-II. Ungarn GZ 142.500/1953. Ressčguier beobachtete übrigens auch die Durchführung des Regierungsprogramms vom Juni 1953 kritisch und war der Meinung, dass es keinen wesentlichen Wandel gebracht habe.

13

MOL, XIX-J-1-k Ausztria 4/bd KüM 05467/1954.

14

Szabad Nép, 15. Juli 1954.

15

Szabad Nép, 23. September 1955.

16

Notiz von Péter Rubin vom 6. Juli 1955 (MOL, M-KS 276.f.65/218. ő.e.); MOL, XIX-J-1-j 53.doboz 25/c 003032/I/1955.

17

György Parragi betonte in seiner Rede während der Haushaltsdebatte am 16. Juni 1954 dementsprechend folgendes: „Wir freuen uns, dass sich die Beziehungen zwischen Ungarn und den beiden Nachbarländern Jugoslawien und Österreich immer mehr normalisieren. Die Spannungen an unseren Grenzen haben wesentlich abgenommen. Die beweist am besten, dass die Zahl der Grenzzwischenfälle sich stark verringert hat.” (Az 1953. évi július hó 3-ára összehívott országgyűlés naplója. 1953-1958 [Protokoll des am 3. Juli 1953 einberufenen Parlaments. 1953-1958], Budapest 1960, Bd. 1, S. 250).

18

Béla Pálmány, A magyar-osztrák viszony [Das ungarisch-österreichische Verhältnis], in: Valóság 49 (1997), H. 4, S. 88. und Lajos Gecsényi-István Vida, Iratok az osztrák-magyar kapcsolatok történetéhez [Schriften zur Geschichte der österreichisch-ungarischen Beziehungen] 1953. október 7.-1956. január 21. In: Századok. A Magyar Történelmi Társulat folyóirata. 134. 2000. 5. S. 1196-1197. Zusammenfassender Bericht der Wiener Gesandtschaft aus dem Jahre 1954 (MOL, XIX-J-1-j 1. doboz 1/b. 002545/1955).

19

Szabad Nép, 3. April 1955.

20

Am 3. April 1955 (Szabad Nép, 23. April 1955).

21

Protokoll der Sitzung des Politbüros der PdUW vom 23. April 1955 (MOL, M-KS 276.f.53/227.ő.e.).

22

Protokoll der Sitzung des Politbüros der PdUW vom 23. Juni 1955 (MOL M-KS 276. f. 53/238. ő.e. S. 138-139.)

23

MOL, M-KS 276.f.53/239.ő.e., 17-26. Das Politbüro war einzig mit dem Plan nicht einverstanden, das Ungarische Kulturinstitut in Wien erneut zu eröffnen.

24

Das Politbüro der PdUW verabschiedete am 11. Juni 1955 die Namensliste der Teilnehmer der Verhandlungsdelegation (MOL, M-KS 276.f.53/236.ő.e., S. 100.)

25

Bruno Kreisky schrieb – vielleicht nicht genau überlegt - in seinen Erinnerungen: „Bis zum ungarischen Aufstand – ich war damals Staatssekretär – hatte ich in der Entwicklung und den Verhältnissen in Ungarn wenig Aufmerksamkeit geschenkt.” (Bruno Kreisky, Im Strom der Politik. Erfahrungen eines Europäers, 1. Auflage, Berlin 1988, S. 226).

26

Puja Frigyes követ jelentése 1955. július 7. [Bericht des Gesandten Frigyes Puja, 7. Juli 1955], in: Társadalmi Szemle 50 (1995), H. 10, S. 80 ff.; siehe auch Erich Bielka, Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, in: Ders./Peter Jankowitsch/Hans Thalberg (Hrsg.), Die Ära Kreisky. Schwerpunkte der österreichischen Außenpolitik, Wien 1983, S. 200 f.

27

Aufzeichnung von Péter Rubin, 6. Juli 1955 (MOL, M-KS-276.f.65/218.ő.e.). Bericht des österreichischen Gesandten: ÖStA AdR BKA/AA Pol. II. Ungarn 2 GZ 320.715-Pol./1955 (323.612)

28

MOL M-KS 276. f. 53/240. ő.e. Protokoll des Politbüros. Die Vorlage ist von 31. Mai datiert.

29

Außenminister Leopold Figl äußerte Mitte September 1955 in einer Erklärung gegenüber einer westdeutschen Zeitung folgendes: „Seit dem Abschluss des österreichischen Staatsvertrages hat sich das Verhältnis Österreichs zu einzelnen Nachbarländern wesentlich verbessert, in erster Linie zur Tschechoslowakischen Republik und zur Volksrepublik Ungarn. So kam es beispielsweise zu wichtigen Erleichterungen im Reiseverkehr mit beiden Staaten.” (Zitiert laut Szabad Nép, 20. September 1955).

30

Nach den Angaben des Oberkommandos der Grenzwache haben 1314 Personen in Monaten Mai-September illegal das Land verlassen. (Aufzeichnungen des Oberkommandos MOL XIX-B-10 IV/8-10-1956-186)

31

Szabad Nép, 24. Dezember 1955; Szabad Nép, 4. Januar 1956. Das Budapester Innenministerium erarbeitete den ungarischen Entwurf für das Abkommen zur Aufstellung eines ständigen gemischten Ausschusses. Innenminister László Piros legte diesen nach der Zustimmung des Politbüros der PdUW am 9. März 1956 der Regierung vor (Protokoll der Sitzung des Politbüros der PdUW vom 9. März 1956; MOL, M-KS 276.f.53/275.ő.e.)

32

Bericht von K. Braunias (ÖStA, BKA/AA Pol. II. Ungarn 2 GZ 511.049/1956, 511.368).

33

Szabad Nép, 24. Januar 1956, Szabad Nép, 26. Januar 1956; Protokolle der österreichisch-ungarischen Finanzverhandlungen, 24. Februar – 8. Juni 1956 (MOL, XIX-J-j. 48.doboz 23/j). Zum Abschluss eines Abkommens über die vermögensrechtlichen Fragen sollte es allerdings erst 1964 kommen.

34

Protokoll der Sitzung des Politbüros 9. März 1956. (MOL M-KS 276. f. 53/275 ő.e. S. 6-7. bzw. Protokoll des Ministerrates 9. Mai 1956. (MOL XIX-A-83-a B-1423/TÜK/1956)

35

MOL, M-KS 276.f.53/275.ő.e.; MOL, XIX-B-10 IV-8-10. 1956 (02704). Ministerpräsident András Hegedüs bemerkt in seinen Memoiren, dass die Maßnahme eine sehr heftige Diskussion auslöste. „Auch heute noch sehe ich das feuerrote Gesicht des tschechoslowakischen Ministerpräsidenten Siroky, der deswegen verärgert Kritik übte, vor mir. Diese einseitige Maßnahme verletzte mit Recht die tschechoslowakische Führung.” (András Hegedüs, A történelem és a hatalom igézetében [Im Bann der Geschichte und der Macht], Budapest 1988, S. 258. Das Politbüro der PdUW entschied in seinem Beschluss vom 24. Mai 1956 dennoch über die zukünftigen Grundlagen der Grenzbewachung, die nach dem Abbau der technischen Sperre an der Westgrenze und entsprechend der neuen Situation geschaffen werden sollten. Unter anderem wurde entschieden, versteckte technische Mittel einzusetzen, eine effektivere Aufklärung durchzuführen, das Landesinnere intensiver zu sichern und die „Wachsamkeit” der Truppen zu erhöhen. Zugleich wurde auch der Beschluss gefasst, die Grenzgegenden infrastrukturell, wirtschaftlich und kulturell zu entwickeln sowie die Grenzstationen und die dorthin führenden Verkehrswege in Ordnung zu bringen (MOL, M-KS 276.f.53/288.ő.e., S. 62-78).

36

Zum Bericht siehe Magyar-osztrák kapcsolatok 1955-1956, (siehe Anm. 4.) S. 84-90.

37

Kanzler Julius Raab gab der Zeitung „Szabad Nép” (Freies Volk) und dem Ungarischen Rundfunk am 6. September 1956 ein Interview, in dem er die Entwicklung der österreichisch-ungarischen Beziehungen positiv beurteilte (Szabad Nép, 7. September 1956). Während eines Schiffsausflugs nach Esztergom, der daraufhin für die Leiter der Außenvertretungen in Budapest organisiert wurde, warf der stellvertretende Außenminister István Sebes im Rahmen einer „Privat-unterhaltung” die Frage der Einladung und des Ungarn-Besuchs von Raab gegenüber dem – im Frühjahr 1956 nach Budapest entsandten – Gesandten Walther Peinsipp auf. Der Gesandte hielt dieses Ansinnen zum gegebenen Zeitpunkt für nicht zu verwirklichen (ÖStA, BKA/AA Pol. Ungarn-2. GZ 511. 049/1949).

38

Vgl. Békés, Európából Európába, (siehe Anm. 8.) S. 147.

39

Ein umfassendes Bild über den neuen Abschnitt der ungarisch-österreichischen Beziehungen seit Ausbruch der revolutionären Ereignisse in Ungarn zeichnet der vom Verfasser zusammengestellte und vom Ungarischen Staatsarchiv herausgegebene Edition Iratok Magyarország és Ausztria kapcsolatainak történetéhez, 1956-1964 [Schriften zur Geschichte der Beziehungen Österreichs und Ungarns, 1956-1964], Budapest 2000.

40

MOL, XIX-A-83-a 24. Jänner 1957. Protokoll Nr. 14 des Ministerrates vom 24. Januar 1957, Punkt 3.

41

Vgl. Reiner Eger, Krisen an Österreichs Grenzen. Das Verhalten Österreichs während des Ungarnaufstandes 1956 und der tschechoslowakischen Krise 1968. Ein Vergleich, München/Wien 1981, S. 51-54; siehe auch Manfred Rauchensteiner, Spätherbst 1956. Die Neutralität auf dem Prüfstand, Wien 1981, S. 107 f.

42

ÖstA AdR BKA/Aa, Kabinett, Ministerratsprotokolle, Fasz. 66. Beschlussprotokoll 25. Punkt 28. Bedauerlicher Weise sind die Protokolle der österreichischen Regierung in ihrer Gesamtheit der Forschung gegenwärtig noch nicht zugänglich. Daher hat der Verfasser Auszüge und Kopien verwendet, die sich unter den Dokumenten des Außenministeriums befanden.

43

Iratok… (siehe Anm. 39.) No. 16. S. 56.

44

ÖStA AdR BKA/AA Pol.II. Ungarn 2 GZ 558.089-Pol./1958

45

So werden die Ereignisse des Jahres 1959 auch in Bezug auf (West-) Deutschland gesehen (vgl. Mihály Ruff, A magyar-NSZK kapcsolatok (1960-1963) [Die ungarisch-westdeutschen Beziehungen (1960-1963)], in: Múltunk. Politikatörténeti folyóirat. 44 (1999), H. 3, S. 6.

46

Die von Kreisky verkörperte außenpolitische Öffnung manifestierte sich auch darin, dass er im März 1960 innerhalb kurzer Zeit Warschau und auch Belgrad besuchte. Die Visite in Polen schuf umfassende Möglichkeiten zur schnellen Normalisierung der Beziehungen. Vgl. Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten. Tätigkeitsbericht 1959-1962, [Wien, 1963], S. 49; Bielka, Österreich und seine volksdemokratischen Nachbarn, (siehe Anm. 26.) S. 205 f.

47

Die außenpolitischen Aspekte der Auseinandersetzungen innerhalb der Österreichischen Volkspartei bzw. zwischen den bürgerlichen und den linken Kräften erfordert noch weitere Analysen. Allgemeine Informationen bietet Peter Pelinka, Österreichs Kanzler. Von Leopold Figl bis Wolfgang Schüssel, Wien 2000.

48

Iratok… (Anm. 39.) Nr. 43. S. 153. weiterhin Kreisky, Im Strom der Politik..(Anm. 25.) S. 236-237.

49

Vgl. hierzu die Bemerkungen von János Péter auf der Sitzung des Kollegiums vom Außenministerium (MOL, XIX-J-1-j Ausztria 4/b KüM 005634/1960 (8. doboz), 8.

50

Népszabadság, 1. Dezember 1960; Magyar Nemzet, 11. Juli 1961.

51

Ein Teil von diesen hing – auf sowjetische Veranlassung – mit dem Anschluss Österreichs an die europäische Gemeinschaft bzw. an die europäischen Assoziationen sowie mit der Entwicklung des deutsch-österreichischen Verhältnisses zusammen.

52

Diesbezüglich wurden die Entwürfe für zwei Abkommen auf die Tagesordnung gesetzt, nämlich über die Erneuerung der Grenzmarkierungen, über die Ordnung an der Grenze sowie über die Gründung und Tätigkeit eines gemischten Ausschusses für Grenzstreitigkeiten. Bei den Buda-Pester Verhandlungen im Januar 1962 schrieben die Delegationen bereits die Erneuerung der Grenzmarkierungen und den Text der Vereinbarungen über die gemischte Kommission fest. Siehe Vorlage der Abteilung für Außenangelegenheiten des ZK USAP 14. Februar 1962. Iratok… (Anm. 39.) No. 55. S. 209.

53

Auf die österreichischen Reaktion den Besuch betreffend verweist Hans-Georg Heinrich, Die Entwicklung der österreichisch-ungarischen Beziehungen, in: Die Beziehungen zwischen Österreich und Ungarn: Sonderfall oder Modell ? (Hgb. Zdenek Mlynar und andere) Wien, 1985 S. 23.

54

Jahresbericht von 1961 des Gesandten István Sebes 19. Februar 1962. Iratok… (Anm. 39.) No. 56. S. 218.

55

Vgl. MOL, XIX-A-83-b-3269. Laut Analyse des sowjetischen Botschafters in Wien vom Oktober 1962 hielten es „die Österreicher für die wichtigste Frage, die vermögensrechtlichen Fragen mit ihren sozialistischen Nachbarn abzuschließen,” und betonten, dass „die erfolgreiche Lösung dieser Fragen auch die Regelung der weiteren Fragen fördern werde.” (Bericht vom Gesandten István Sebes; MOL, XIX-J-1-j Ausztria 5/f KüM 003052/1/1962 (23. doboz).

56

Vgl. Mihály Fülöp/Péter Sipos, Magyarország külpolitikája a XX. században [Außenpolitik Ungarns im 20. Jahrhundert], Budapest 1998, S. 433.

57

MOL, M-KS 288.f.32/1962/16.ő.e.m 92-104.

58

A Magyar Szocialista Munkáspárt VIII. kongresszusának jegyzőkönyve 1962. november 20-24. [Protokoll des VIII. Kongresses der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei. 20.-24. November 1962], Budapest 1963, S. 23.

59

Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/323.ő.e. Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/336.ő.e.

60

Das Österreichreferat im ungarischen Außenministerium überprüfte im März 1964 mittels eines 35-seitigen Aktionsplans die gesamte Skala der Beziehungen zu Österreich (vgl. MOL, M-KS 288.f.32/1964/39. ő.e.).

61

Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/339.ő.e., 3 f., 76 ff. Der Bericht über den Österreichbesuch von Jenő Fock ist in Iratok… (Anm. 39.) S. 266-270 veröffentlicht; Protokoll über die Sitzung des Politbüros MOL, M-KS 288.f.5/340.ő.e., 3, 21 ff., 42 ff. Vorlage des Innenministeriums (Hauptabt. Spionageabwehr) und Entwürfe über die Einführung eines neuen Systems bei der Visumausgabe von Juni 1964 liegen in MOL XIX-B-1-z 10-64/7 (2201).

62

Es ist merkwürdig, wie Kreisky über seine Bestrebungen nach einer Normalisierung mit Ungarn in seinen Memoiren (1988) geschrieben hat. „Ich hatte früh darauf gedrängt dass man auch mit Ungarn zu einer Politik der Normalisierung finden müsse, wenngleich ich mir darüber klaren war, dass den Ereignissen von 1956 Ungarn aus psychologischen Gründen zu den letzten Staaten zahlen würde, mit denen eine solche Politik aufgenommen werden konnte.” Kreisky, Im Strom der Politik, (siehe Anm. 25.) S. 236.

63

Aufzeichnung des Stv.-Ministers Béla Szilágyi über das Treffen (MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/15/1965).

64

Protokolle über die Politbüro-Sitzungen am 2. März und am 11. Mai 1965 (MOL, M-KS 288.f.5/360.ő.e., 14-19; MOL, M-KS 288.f.5/365.ő.e., 129-132).

65

Bericht von Außenminister János Péter für den Ministerrat (MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/42/1965).

66

„Unser Wille zur Zusammenarbeit ist beständig, wir wollen gute Nachbarschaft zum ‚österreichischen Schwager’. Wir alle sind unter Franz Joseph geboren, Gomulka, Cyrankiewicz, Tito und Kardelj auch. Wir müssen solche Treffen gerade deswegen fortsetzen. Diese können in Wien, Prag, Warschau, Budapest oder auch in Bratislava stattfinden. Wir müssen dort zusammen existieren, wo wir leben.” – sagte Kádár zu Pittermann. „Es kann festgestellt werden, dass, wenn die Österreicher hierher [d.h. nach Budapest] kommen, sie dann zwar nicht zuhause sind, aber auch nicht fühlen, dass sie im Ausland sind. Und umgekehrt trifft das auch zu. Am Sonntag ist es auf der Kärntnerstrasse [in Wien] genau so, wie in Budapest auf der Andrássy Straße.” – antwortete der Vizekanzler (Aufzeichnung des stellvertretenden Ministers Béla Szilágyi über das Treffen; MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/15/1965).

67

Die ungarischen Dokumente, die für die Verhandlungen im Oktober 1964 und von Januar bis April 1965 vorbereitet wurden, bekräftigen diesen Sachverhalt eindeutig. Siehe den Bericht des Gesandten István Sebes von 15. September 1964 über die Vorbereitung des Besuches der österreichischen Delegation: Iratok… (Anm. 39.) Nr. 69. S. 272-279. und die Vorlage des Außenministeriums ans Politbüro von 14. Oktober 1964: Iratok… (Anm. 39.) Nr. 70. S. 280-285. bzw. den Bericht des Botschafters István Sebes von 23. Januar 1965: MOL XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/7/1965, sowie die Aufzeichnung des stellvertretenden Ministers Béla Szilágyi über das Treffen: MOL, XIX-J-1-j Ausztria IV-135 00425/15/1965.