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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 9:77–88.

PÉTER HANÁK

Typen der jüdischen Assimilation in der Habsburgermonarchie

 

Thema und Begriff

Schon das Thema an sich ist mit schwerwiegenden historischen Problemen, Vorurteilen und Leidenschaften durchwoben, so dass es falsch wäre, einen fachlichen Vortrag auch noch mit begrifflichen Ungereimtheiten zu belasten. Der Begriff der Assimilation nämlich ist nicht allein im Allgemeingebrauch sondern selbst in der Fachliteratur überaus ungeklärt. Während der letzten hundert Jahre verstand man darunter zumeist den Anschluss an eine Nation bzw. die Verschmelzung mit jener, obwohl die nationale Assimilation mit anderweitigen gesellschaftlichen und ideellen Prozessen in engem Zusammenhang steht. Ebenso liegt auf der Hand, dass es sich bei jedweder Assimilation um einen langfristigen, komplexen Prozess handelt, dessen Abschnitte und Ebenen nicht unbedingt linear nach vorn weisen oder keine irreversiblen wären. Die Auslegung des Begriffes an sich ist damit Voraussetzung für eine Abhandlung des Themas, ohne uns jedoch auf ein längeres Traktat über die Definition einzulassen.

Eine natürliche Folge des ständigen Wandels der Lebensumstände des Menschen ist die Migration, und ihre Konsequenz die Regelung des Zusammenlebens von „Eingeborenen” und „Fremden” auf irgendeine Art und Weise. Als erste Etappe im Prozess des friedlichen Miteinanders erachten wir die Niederlassung und primäre Anpassung. Die Ankömmlinge respektieren zwecks Sicherung elementarster Existenzbedingungen Ordnung und Regeln der aufnehmenden Gemeinschaft, wahren jedoch ihre Sonderstellung, da noch nicht sicher ist, ob es sich um ihren provisorischen Wohnort oder eine zur Heimat werdende Siedlung handelt. Bei diesem Abschnitt handelt es sich zumeist um jene einer Generation, im Gegensatz zu den nicht aufgenommenen sondern nur geduldeten Immigranten – wie zum Beispiel die Juden im christlichen Europa – die diese Etappe über mehrere Generationen hinweg durchmachten. In solchen Fällen ähnelt das dauerhafte Zusammenleben den unvermischten Symbiosen: selbst in der viel späteren Generation von Nachfahren tritt keine gesellschaftliche und wissentliche Integration ein. In der zweiten Phase lassen sich die Einwanderer endgültig nieder; sie passen sich nicht nur der neuen Umgebung an, sondern sind weiterhin darum bemüht, deren Wertordnung und Traditionskultur zu übernehmen, sie sich zu eigen zu machen. Diese Phase bezeichnet man unter anderem als Akkulturation. Ein charakteristisches Zeichen hierfür ist, dass der Einwanderer bilingual wird, was mit der Doppelheit von Bewusstsein und Kultur, Loyalität sowie Identität einhergeht. Vom ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Gesichtspunkt her ist dieser Abschnitt bereits der Beginn der Integration, denn der Immigrant ist um umfassende Harmonie, die Beseitigung der Diskrepanz zweifacher Identität wegen, bemüht. Diese Phase geht kontinuierlich in den Abschnitt der tatsächlichen Assimilation über. Dauer und Intensität des Überganges hängen in großem Maße von Umfeld, von familiären und freundschaftlichen Beziehungen ab. Bei der folgenden Stufe, der Assimilation, handelt es sich ebenfalls um einen langwierigen Prozess, denn dann entschwinden nicht allein oberflächliche Nachahmungsmanien der Neophyten, sondern zuliebe einer möglichst spurlosen Verschmelzung aufgegebene alte Identitäten. Darum ist gerade in diesem fortgeschrittenen Stadium der Assimilation das sich einordnende Individuum bzw. die Gemeinschaft empfindsamer und verletzlicher abweisenden Gesten der „Ureinwohner” gegenüber, wenn man sie ihre nicht-Vollwertigkeit spüren lässt. Oftmals kann die nationale oder Rassendiskrimination, der Rassismus, zu einer expliziten Dissimilation führen, wie das in unserem Jahrhundert bei Massen des deutschen und ungarischen Judentums der Fall war. Der hier grob skizziert avisierte Prozess war eine Folge und Begleiterscheinung der Modernisierung der Neuzeit. Zweifelsohne haben der Ausbau von Markt und Infrastruktur, die Ideen der Aufklärung sowie die Einführung des Modernen Bildungssystems, die bürgerliche Rechtsgleichheit – mit einem Wort: die Verbürgerlichung – notgedrungen zur Emanzipation des Judentums und damit zu seiner gesellschaftlichen und kulturellen Integration beigetragen.

Der Ausgangspunkt

Das Habsburgerreich erfasste Länder unterschiedlichsten Entwicklungsniveaus und verschiedenster Rechtsstände. Infolgedessen wiesen auch Ansiedlungen und Situationen der Juden je nach Land oder gar Provinzen Differenzen auf. Betrachten wir als Ausgangspunkt die Lage des Judentums Mitte des 18. Jahrhunderts, noch vor der Annektierung Galiziens und der Bukowina (jedoch ohne die Lombardei). In der Monarchie unter Maria Theresia lebten Juden in größerer Anzahl praktisch nur in zwei Ländern, in der Tschechei (Böhmen, Mähren, Schlesien) und in Ungarn (mit Siebenbürgen), doch waren es derzeit nicht einmal 100.000.

Das böhmische Judentum mochte zu jener Zeit 40–50 Tausend Personen zählen. Seine Lage kann seit Leopold I. keinesfalls als aussichtsreich bezeichnet werden. Ihrer tiefen Religiosität wegen – oder auch trotz jener – mochte die biedere Kaiserin sie nicht leiden. Einige Jahre nach ihrer Besteigung des Thrones vertrieb sie Ende 1744 die Juden aus Prag, später dann aus ganz Böhmen. Weder Flehen noch Interventionen vermochten zu helfen: bei klirrender Kälte zogen Tausende Vertriebene im Februar 1745 aus den Straßen Prags in die Dörfer der Provinz, wo man ihnen „ungastliche Unterkunft in Ställen, Schauern und auf Dachbüden” bot. Diese Maßnahme jedoch rächte sich an dem vom schlesischen Krieg gezeichneten Land. Die wirtschaftliche Lage und der Mangel an Krediten zwangen die Herrscherin schließlich zur Aufhebung der Verordnung. Die Juden konnten nach 5 Jahren Verbannung gegen Zahlung von 2,5 Millionen Gulden wieder nach Prag zurückkehren, wo ihre Vorfahren derzeit bereits seit 700 Jahren gelebt hatten – wenn auch nicht immer in Frieden und Sicherheit. Aus all dem geht hervor, wie viel barmherziger doch die österreichische Obrigkeit war, als die deutsche Diktatur zweihundert Jahre später. Eine weitere schwere Last, die das Judentum der Tschechei zu tragen hatte, war das sogenannte Familiantengesetz, welches seine Vermählung regelte. Demgemäß konnte aus jeder Judenfamilie nur ein Mann heiraten, damit sie sich nicht übermäßig vermehren würden. Dagegen wehrten sich die Juden mit heimlichen Eheschließungen und mit der Übersiedlung ins Ausland – vor allem nach Ungarn. Das denkwürdige Toleranzedikt Josefs II. aus dem Jahre 1781 hat eher die Propagierung der Sicherheit und des Geistes der Aufklärung zur Folge gehabt als eine tatsächliche Besserung der Lage des Judentums in der Tschechei. Diskriminierungen wie Verehelichungsgesetz und Ghetto blieben erhalten. Somit wird verständlich, dass die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts langsam einsetzende Akkulturation größtenteils auf die deutsche bürgerliche Mittelklasse und die deutsche Kultur ausgerichtet war.

In Ungarn war die Situation eine andere. Nach der Befreiung von der Türkenherrschaft gab es im Lande nur einige hundert jüdische Familien. Die dann im Jahre 1750 durchgeführte Konskription hat ebenfalls knapp 15.000 Juden aufgeführt. Fakt ist aber auch, dass diese Registrierung der Steuern wegen erfolgte, so dass wahrscheinlich ist, dass die tatsächliche Anzahl das Doppelte betrug. Der Wahrheit näher stand wohl die Volkszählung unter Josef II., laut welcher 1785 in Ungarn 83 Tausend Juden lebten. Ihre Lage unterschied sich wesentlich von jener in den Kronländern. Sie entrichteten zwar eine Toleranzsteuer, konnten sich jedoch in den königlichen Freistädten nicht niederlassen. Ansonsten war es ihnen aber gestattet, frei in den Marktflecken, auf Herrschaftssitzen der Großgrundbesitzer zu leben und zu handeln. Das ungarische Rechtssystem kannte keine Ghettos, Orts- und Bewegungseinschränkungen. Im Gegenteil, ein Großteil der Grundbesitzer begünstigte ausdrücklich die Ansiedlung jüdischer Pächter auf deren Besitz. Das Toleranzedikt von Josef II. blieb in Ungarn nicht einfach ein Papier, denn das Parlament von 1791 gewährte auch gesetzlich die Glaubensfreiheit.

Die zuvor erwähnte Volkszählung hat auf dem Territorium Österreichs (in den Alpenländern) 853 Juden erfasst. Praktisch konnten sich also in dem im engeren Sinne genommenen Österreich Juden nirgendwo niederlassen. Dieser Fakt hatte bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts Bestand, denn auch die Volkszählung von 1857 wies nur 7557 Juden nach, davon etwa 6000 in Wien. Auf diese Weise hat die Judenfrage bis hin zum letzten Drittel des vorigen Jahrhunderts auf dem Zentralterritorium keine ernsthaften Probleme bereitet.

 

Liberalismus, Emanzipation, Akkulturation

Tschechische Länder

Die Zweisprachigkeit der tschechischen Juden und die gleichzeitig damit einhergehende Herausbildung der Doppelidentität kann mit Josef II., mit der schnellen Verbreitung sozioökonomischer Gesichtspunkte bei der kapitalistischen Modernisierung datiert werden. Letztere führte zur wirtschaftlichen Erstarkung des jüdischen Bürgertums der Händler und Unternehmer, zu einer engen Verflechtung mit der deutschen Bourgeoisie. Die Zweisprachigkeit hatte eine wirksame Weiterführung des von Josef II. angeregten deutschsprachigen Unterrichtes zur Folge und dieser gesamte Prozess eine Verbürgerlichung und den Sieg des Liberalismus, die Erringung der Emanzipation, zum Ergebnis. Die überwiegende Deutschorientierung der Mittelklasse tschechischer Städte war demnach motiviert von der wirtschaftlichen Stärke und der kulturellen Überlegenheit des Deutschtums, von dem größeren Prestige sowie einer wahrscheinlich der Assimilation zu verdankenden höheren Rangeinstufung. Dies war eine allgemeine, man kann sagen gesetzmäßige Erscheinung. Die sich zur Loyalität steigernde Deutschfreundlichkeit jedoch hat einen solchen sozialpsychologischen Kreislauf in Gang gebracht, welcher in der tschechischen Nationalbewegung den traditionell-konfessionellen Judenhass, die sich häufig wiederholenden antijüdischen Bewegungen schürte; diese Atrozitäten wiederum stärkten die Identifikation der Juden mit dem Deutschtum. Mathematisch war diese Formel nahezu durchschaubar, würden nicht zwei Gegenmomente ihre Gültigkeit widerlegen.

Eines dieser Momente ist die Sympathie den Tschechen gegenüber, die spätere gestärkte Loyalität vor allem unter den Ärmsten der Juden, im Kreise der untersten Schichten, in den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts. Zu Beginn der Verfassungsära hat die Mehrheit der jüdischen Wähler den deutschen Liberalen ihre Stimme gegeben. Anlässlich des Zensus von 1890 hat sich nahezu ein Dreiviertel der jüdischen Bevölkerung als deutsch ausgewiesen, 10 Jahre später aber nur noch 45 %! (nota bene: die offizielle Demographie der Monarchie erkannte weder die jüdische Nationalität noch das Jiddische als Sprache an). Wie erwähnt, kann die verstärkte tschechische Orientierung der Juden auf soziale Faktoren zurückgeführt werden, jedoch nur zum Teil. Die Juden haben nämlich unter anderem auch die wie bekannt antisemitische und deutschfeindliche nationalistische Jungtschechische Partei unterstützt. Man kann eventuell diese neue nationale Orientierung mit rationeller Voraussicht erklären, sie auf das in die künftige tschechische Macht gesetzte Vertrauen zurückführen, denn zum Ende des 18. Jahrhunderts machten die Tschechen nur die Hälfte der Prager Bevölkerung aus, 100 Jahre später hingegen 90 %. Als wahrscheinlichsten Faktor erachte ich jedoch, dass hinsichtlich Antisemitismus die deutschen Nationalisten den Tschechen in nichts nachstanden. Um 1900 gründeten die deutschen Beamten, Handwerker und Studenten ihre Verbände und nationalen Turnvereine, zusammengefasst im „Bund der Deutschen in Böhmen”, welcher „an der Rassenfront kämpfen wollte”. Und bei einigen Gruppen tauchte bereits der „Arierparagraph” auf. Dem leidenschaftlichen deutschen Nationalismus vermochte die Zusammenarbeit geschwächter Gruppierungen von Liberalen mit dem jüdischen Bürgertum und prominenten Elementen der Intelligenz nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen.

Die drohende Gefahr wird meiner Ansicht nach von jenen Historikern richtig ausgelegt, die nachweisen, dass das tschechische Judentum zur Zeit der Jahrhundertwende in das Kreuzfeuer zweier verblendeter, doch im Antisemitismus vereinter Nationalismen geriet. Diese prekäre Lage hemmte die fortschreitende Akkulturation des Judentums und zahlreiche Gruppierungen wurden in andere Richtungen gedrängt. Die eine Strömung war die internationalistische Sozialdemokratie, der sich gerade zur Jahrhundertwende eine ganze Flut jüdischer kleiner Leute und Arbeiter zuwandte. Der andere Fakt von Bedeutung war die literarische Allianz „Prager Kreis”. Antifaschistische und antikommunistische Schriftsteller und Gelehrte weiten die gesellschaftliche Bedeutung dieses Kreises nachträglich überdimensional aus, denn sie war seinerzeit eine historische geringe. Allein die spätere Entdeckung von Franz Kafka verleiht ihm retrospektiv kulturhistorische Bedeutung. Trotzdem können wir das literarische Schaffen dieses marginalen, sich weder mit den Deutschen noch Tschechen identifizierenden Kreises von Kosmopoliten als symptomatisch für die Suche nach einer neuen Form der jüdischen Identität betrachten, welche in den Jahren vor dem Weltkrieg auch mit der Gründung zionistischer Gruppen in Erscheinung trat.

Zusammenfassend können wir sagen, dass im Verlaufe der liberalen Verbürgerlichung des 19. Jahrhunderts die Akkulturation des Judentums der Tschechei einen bedeutenden Fortschritt zu verzeichnen hatte, wobei es aber nicht gelang, das Stadium der Assimilation zu erreichen. In den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts spaltete sich die Identität, und der erstarkte Antisemitismus hatte eine Bremswirkung zur Folge. In Prag bildete sich das Lager der eine nationale Assimilation Ablehnenden und sich den sozialistischen Programmen Anschließenden heraus, bzw. es kam zur literarisch-künstlerischen Gruppierung einer neuen jüdischen Orientierung.

Österreich

Aufgrund der Logik der „reinen Vernunft” könnten wir annehmen, dass sich im Österreich der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ideale Situation für eine verhältnismäßig schnelle sowie erfolgreiche Assimilation des Judentums ergab. Die massenhaften Ansiedlungen entfielen auf die Blütezeit des Liberalismus und schienen äußerst erfolgreich. Die zu Beginn dieser Epoche nur 7000 Personen ausmachenden Juden zählten 5 Jahrzehnte später 191 000 Personen, wobei sich aber 95 % (d. h. 182.000) auf Wien konzentrierten. Begünstigt wurde die Akkulturation dadurch, dass die Mehrzahl der aus den tschechischen Ländern, aus Ungarn und dem Deutschen Reich Kommenden deutsch sprach, die deutsche Kultur kannte und anerkannte. Die spektakulären Erfolge der Akkulturation ließen den Erfolg einer bereits einsetzenden Assimilierung glaubhaft erscheinen. Das österreichische Gemeinschaftsbewusstsein ruhte nämlich nicht auf einer sprachlich-ethnischen, sondern auf einer politischen Basis. Das Judentum hatte demgemäß nicht einen die vollkommene Identifizierung mit einer bestehenden Nation fordernden – oftmals intoleranten – Nationalismus anzuerkennen, sondern den übernationalen Staatspatriotismus der Österreicher.

Die Logik der Geschichte aber ist verwickelter als der rationale Intellekt. Die Assimilation stieß bereits im letzten Quartal des vergangenen Jahrhunderts auf starke Gegenströmungen. Egal wie paradox es zu sein scheint – eben der spezifische Protektor gestaltete sich zu einem wunden Punkt: der übernationale Staatspatriotismus nämlich. Jener Patriotismus bot nicht zu unterschätzende Vorteile bezüglich Identität, ebenso traditionellem Antisemitismus gegenüber, doch waren die für eine Verschmelzung erforderlichen Anziehungs- und Bindekräfte nicht ausreichend für eine schnell ablaufende Assimilation. Umso weniger, da gesellschaftliche sowie bewusstseinsmäßige Voraussetzungen größtenteils fehlten. Selbst oberste Schichten der jüdischen Bourgeoisie nämlich wurden von der österreichischen Elite nicht aufgenommen, weder von Grundbesitzern noch der Beamtenaristokratie, der sog. „ersten Gesellschaft”. Möglich gewesen wäre noch eine Verschmelzung mit dem christlichen Bürgertum, was aber beide Seiten zurückwiesen. Skeptisch verfolgte ein Großteil der österreichischen Mittelklasse die stürmische Expansion der jüdischen Bourgeoisie, und die Gegensätze des Konkurrenzkampfes haben praktisch spontan traditionell antisemitische Reflexe bei ihnen ausgelöst. Es ist so, dass selbst zwei Jahrhunderte diese Gepflogenheit nicht vergessen machen konnten, umsonst hat Kaiser Leopold 1670 Wien und die österreichischen Provinzen von Juden „gesäubert”. Mit erneuter Wucht machte sich der Antisemitismus schon zur Zeit des Vormärz, anlässlich der 48er Revolution und während des Neoabsolutismus bemerkbar. Die Bezeichnung „Judenkrieg” stammt nicht von Georg Ritter von Schönerer, sie tauchte bereits während des Wiener Aufruhrs der 60er und radikaler Studentenbewegungen der 70er Jahre auf. Fakt ist trotzdem, dass die Durchdringung des österreichischen Staatspatriotismus mit dem deutschen Nationalismus verbunden ist, mit dem Namen Schönerers, mit dem großdeutschen rassistischen Programm seiner Partei. Es zählte weiterhin nicht zu den Ausnahmen, dass sich ein Teil der österreichischen Liberalen den nationalistischen zeitgenössischen Strömungen anschloss, selbst wenn man den Anschluss ablehnte, in den Leitartikeln der „Neuen Freien Presse” oder in den Ansprachen des Reichsrates den Geist des Staatspatriotismus wahrte, ebenso wie die Kaisertreue. Seine effizienteste Form erlangte der österreichische Antisemitismus zum Ende des Jahrhunderts mit der Ideologie und Propaganda der von Karl Lueger geführten Christlichsozialen Partei.

Der dann zum Ausgang des Jahrhunderts überhandnehmende politische Antisemitismus hat das Wiener Judentum äußerst empfindlich getroffen. Die in den Rang eines Ordnungsprinzips des öffentlichen Lebens erhobene Diskrimination unterbrach den Prozess der Assimilierung und hat die Juden – ebenso wie in Prag – in andere Richtungen geleitet, vor allem was die Identitätssuche der Assimilierten angeht.

Die größte Anziehungskraft übte auch in Wien der Sozialismus aus. Nicht nur Arbeiter, sondern ebenso zahlreiche Angehörige der sozial sensiblen jungen Generation der jüdischen Mittelschicht – erwähnt seien hier nur Viktor Adler, Wilhelm Ellenbogen und Otto Bauer – schlossen sich der Arbeiterbewegung an, im sozialistischen Internationalismus jenes Identitätsideal findend, welches der österreichische Übernationalismus ihnen schon nicht mehr zu bieten vermochte.

Neben der Assimilierung zeigten sich auch innerhalb des Judentums Gegentendenzen. Solche waren der zähe Widerstand der orthodoxen Kultusgemeinde einer Erneuerung der Konfession gegenüber, jener, der sich gegen die Einführung des Deutschen als Sprache der Predigten oder gegen gemischte Ehen richtete. Der Kampf zwischen Orthodoxen und Reformern endete auf österreichische Weise mit einem Kompromiss, was so viel heißt, dass der Einfluss der jüdischen ethnoreligiösen Orthodoxie bestimmend blieb. Die andere Gegenströmung ergab sich aufgrund der zunehmend massenhaften Einwanderung aus Galizien. Der Großteil der Immigranten aus Galizien brachte neben einem flachen Rucksack und den Gewohnheiten des Ghettolebens hassidistische Ideen mit sich. In Wien traf sozusagen der aufgeklärte, emanzipierte Westjude auf den ein starkes, zum Teil mystisches Judenbewusstsein in sich bergenden Ostjuden. Aus diesem Aufeinandertreffen wurde der politische Zionismus geboren. Die Basis bildeten die Organe der gebildeten Jugend der Ostjuden; den Leitgedanken formulierte Theodor Herzl – der aus Budapest nach Wien übersiedelnde Publizist – in seinem Buch „Der Judenstaat” (1896), welches zur Bibel der neuen Bewegung wurde. Die Aufsichnahme der jüdischen nationalen Identität, ein neuer Exodus aber hätten für die kulturell bereits stark assimilierte Elite der Intellektuellen eine dermaßen schmerzliche Selbstaufgabe, einen solchen umfassenden Verlust bedeutet, dass selbst unter den in ihrer österreichischen Identität und in ihrem Judentum Gekränkten sich vor dem ersten Weltkrieg nur wenige für den Zionismus entschieden. Junge Intellektuelle, Schriftsteller und Künstler suchten andere Auswege aus der Krise des „liberalen Ego”. Sie stimmten dem Rückzug bzw. dem Ausbleiben aus dem Establishment zu und fanden ein Zuhause in der existentiellen Einsamkeit, im Garten einer esoterisch– ästhetischen Kultur – und innerhalb jener in den Tiefen der Seele. Dies ist die Kultur des fin de siècle, die eng verbunden ist mit den Namen Hofmannsthals und Schnitzlers aus dem Kreise „Junges Wien”, mit der psychoanalytischen Schule des Freud, der Sezession des Wagner und Klimt, mit der Musik von Gustav Mahler, Richard Strauss und Arnold Schönberg – d. h. geniale Künstler schufen sie, und nebensächlich war, ob sie Juden oder Nichtjuden waren; entstanden ist das spezifische Produkt der europäischen Dekadenz zur Jahrhundertwende, das mit dem heute üblichen Begriff erwähnte „Wiener Paradigma”.

Ungarn

Für Ungarn trifft eine besondere Erscheinung zu: in diesem zurückgebliebenen feudalen Land setzte zuerst, bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die Akkulturation des Judentums ein und erreichte das höchste Stadium. Erwähnt werden können zum Beispiel die Parlamentssitzungen der Reformepoche, wobei die von 1843/44 die Empfehlungen hinsichtlich freier Niederlassung der Juden, der freien Ausübung des Handwerks sowie der Belegung intellektueller Laufbahnen verabschiedete. Wir können József Eötvös, Ferenc Deák oder Lajos Kossuth erwähnen, die bereits zur Zeit des Vormärz Fürsprecher der jüdischen Emanzipation waren. Wir könnten Kossuth zitieren, der klar formulierte: Der Fortschritt Ungarns erfordert die Verbürgerlichung des Adels und eine Magyarisierung des Bürgertums. Die Reformgeneration hat mit aller Kraft die sprachliche und kulturelle Akkulturation des heimischen Judentums unterstützt. Ich wünsche jedoch nicht, hier Fakten des Assimilationsprozesses aufzuführen, sondern möchte die Gründe der Assimilierung des Judentums analysieren. Denn es handelt sich dabei um ein Problem, welches wert ist, es zu analysieren – warum haben denn nun die größtenteils deutschsprechenden Juden, loyale Untergebene der Habsburger, sich für die Identität mit den Ungarn entschieden?

Ich glaube nicht, dass ich dem einfachen Materialismus huldige, wenn ich an erster Stelle die ökonomische Interessengemeinschaft des ungarischen Adels mit Grundbesitz und der jüdischen Händler, des Finanzkapitals hervorhebe. In Ungarn setzte die kapitalistische Modernisierung in der Landwirtschaft, die Kapitalanhäufung mit dem Produktenhandel ein. In diesen Bereichen harmonierten die Interessen der ihre Güter meliorierenden Warenproduzenten/ Grundbesitzer vollkommen mit jenen der jüdischen Unternehmer. Damit erklärt sich die zuvor erwähnte Toleranz, mit der zahlreiche Magnaten – Diskriminationen größtenteils ignorierend – jüdische Händler und Pächter gern auf ihren Gütern ansiedelten. Kredit, Markt und Eisenbahn waren jene Bereiche, in denen der ungarische Adel die konservative, schwerfällige österreichische Regierung übertraf.

Es wäre jedoch eine zu große Vereinfachung, jene spezifische Zusammenarbeit allein auf materielle Interessenmotivationen zurückzuführen. Auf ungarischer Seite handelte es sich bei der Assimilierung der bürgerlichen Mittelschicht – wie bereits erwähnt – um eine nationale Daseinsfrage. Was aber veranlasste die verhältnismäßig rasche Magyarisierung des Judentums? Eingehende Nachforschungen beweisen, dass zum Teil soziale Überlegungen Grund dafür sind: zweifelsohne verfügte im Lande der ungarische Adel über herrschaftliche Ränge und das Privileg zur führenden Rolle in der Politik. Zum Ungar werden und sich dem Adel anpassen – das sicherte der trotz ihrer Besitze sozial minderwertigeren jüdischen Bourgeoisie ein Emporkommen auf der gesellschaftlichen Rangleiter. Von Bedeutung ist die Gleichstellung Ungar = Herr, doch handelte es sich hierbei nicht um den einzigen sozialpsychologischen Stimulus. Dem gesellten sich zur Reformzeit das Freiheitsideal und der Glaube an Liberalismus hinzu. Die Vermählung von romantischem Freiheitsgedanken und rationalem Liberalismus hat eine besondere Anziehungskraft auf die Juden Ungarns und das deutsche Bürgertum ausgeübt. Für sie blieb der josefinische Staatspatriotismus, der die Heimat mit staatsbürgerlicher Loyalität und der Heilsdoktrin vom Gemeinwohl identifizierte, ein gefühlsmäßig nichtssagender Begriff, ein praktisch kaum verwendbares Prinzip. Demgegenüber hat die liberale Nationalbewegung des ungarischen Adels gleichzeitig die Freiheit angeboten, den Abriss ständischer Trennwände, den gesellschaftlichen Aufstieg sowie die Vorteile der gefühlsmäßigen Bindung an eine Nation mit einer großen Vergangenheit. Wenn ein Jude einen Vergleich zog zwischen dem überholten Zunftgeist der deutschen städtischen Bürger, dem antisemitischen Antikapitalismus oder dem fortschrittsfeindlichen Konservatismus der Wiener Regierung bzw. dem Reformprogramm des liberalen Adels, der beispielhaften religiösen Toleranz und seiner rezeptiven Bereitschaft – dann konnte bezüglich seiner Wahl kein Zweifel aufkommen. Die Akkulturation des Judentums Ungarns machte zur Zeit des Dualismus Fortschritte bzw. ging in der Hauptstadt und sich verbürgerlichenden Gegenden in das Stadium der Assimilation über. Gehemmt wurde dieser Prozess zeitweise durch antisemitische Ausbrüche, so u.a. die Ritualmordanklage von Tiszaeszlár 1883, nicht jedoch aufgehalten. Die Anklage endete mit einem Freispruch, der Prozess mit dem Sieg des Liberalismus, ebenso wie der in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts geführte kirchenpolitische Kampf, im Anschluss an welchen gesetzlich die gleichberechtigte Anerkennung des israelitischen Glaubens deklariert wurde. Diese Erfolge dämpften nicht die aufbrausende Unzufriedenheit der im Kapitalismus deklassierten Adligen und kleinbürgerlichen Elemente, die zunehmende Judenfeindlichkeit und den Antiliberalismus. Zur Zeit der Jahrhundertwende traten in den Reihen der politischen Führungsschicht neokonservative Strömungen auf, in erster Linie in den Agrarinstitutionen, in der katholischen Volkspartei und in Kreisen der Gentry-Beamten. Das Bündnis mit den Juden hat die Mehrheit aus ökonomischem Interesse sowie aus nationalitätspolitischen Überlegungen aufrechterhalten, denn das assimilierte Judentum hat die ungarische Herrschaftsschicht den nationalen Minderheiten gegenüber unterstützt. Gleichzeitig aber hat die wirtschaftliche Expansion des Judentums und dessen Konkurrenz auf Gelehrtenlaufbahnen die Massen konservativer Nationalisten mit unverhohlener Antipathie erfüllt. Politische Prinzipien und vielfältige Interessen bzw. vielzählige Gegeninteressen und Antipathien prallten in der Mentalität der ungarischen Führungsschicht ständig aufeinander. Wir könnten das auch so formulieren, dass es zu einer permanenten Dissonanz zwischen kognitiver und affektiver Sphäre kam, woraus sich wiederum eine ständige Spannung und Ambivalenz hinsichtlich des Problems der Eingliederung der Juden ergab.

Diese Ambivalenz und Dissonanz hat die andere Seite ebenso charakterisiert. Die so erfolgreich scheinende Assimilation hat das Judentum gespaltet. Im Jahre 1910 deklarierten 77 % von ihnen (700 000 Personen), dass sie Ungarn seien und 211 Tausend erklärten das Deutsche – tatsächlich eigentlich Jiddische – für ihre Sprache. Wertordnung und Mentalität der zum Großteil assimilierten jüdischen Mittelschicht entsprachen weiterhin nicht ganz der „herrschaftlichen” Weltanschauung (der Gentrys). Auch hier also die Dissonanz zwischen kognitiver und emotionaler Sphäre. Der geadelte jüdische Großbürger und die ungarische jüdische Bourgeoisie blieben im Geschäftsleben weiterhin Partner der Grundbesitzer, sie haben im öffentlichen Leben die führende Rolle sowie den Nationalgedanken der politischen Elite anerkannt. Gleichzeitig aber hat man bei der wirtschaftlichen Tätigkeit und im Privatleben den Bourgeoisethos beibehalten. In der ungarischen adligen Führungsschicht bzw. der jüdischen Mittelklasse beruhte die Hassliebe auf Gegenseitigkeit – die kognitive Dissonanz zeigte dem anderen sein Spiegelbild. Auf diese Weise bildete sich auf der ungarischen Seite der Monarchie ein raffiniertes System komplementärer Dissonanz heraus, ein empfindliches Gleichgewicht, das mit Rücksicht auf höhere staatliche und nationale Interessen von beiden Parteien fürsorglich eingehalten und bis zum Zusammenbruch aufrechterhalten wurde. In dieser These, die praktisch als Zusammenfassung angesehen werden kann, ist der Erfolg der ungarischen jüdischen Assimilation inbegriffen, denn einzelne Gruppierungen und Individuen erlangten tatsächlich die Verschmelzung. Doch weist die These auch darauf hin, dass es sich bei der Assimilation noch um keine irreversible handelte, da die Wogen des politischen Antisemitismus Ungarn ebenfalls aufwühlten.

Galizien

In Galizien bzw. der Bukowina blieb eine frühere und primitivere Form des Zusammenlebens erhalten: über Jahrhunderte hinweg war die Sonderstellung des Judentums erhalten geblieben, die Ghetto-Lebensweise. Die Reformen Josefs II., die mehreren hundert deutschsprachigen Grundschulen sowie die Gründung zweier Gymnasien, die Kulturpolitik, hätten einen Wandel mit sich bringen können, doch haben die Nachfahren sein Werk nicht fortgesetzt. Gründe dafür waren einerseits die Gleichgültigkeit von Kaiser Franz, andererseits der Widerstand der orthodoxen Rabbiner. In Galizien mangelte es an den Voraussetzungen einer von Oben herbeigeführten Zivilisierung von Gewohnheitskultur und Lebensform. Umso mehr, da ja zur Mitte des vorigen Jahrhunderts die österreichische Regierung das Judentum Galiziens auf eine den liberalen Zeitgeist, ja sogar die legale Emanzipation an sich beschämende Art und Weise diskriminierend behandelte. Über Jahrzehnte hinweg wurde die Toleranzsteuer beibehalten, die Einschränkung von Besitzerwerb und freier Wahl der Laufbahn. Weiterhin legte man keinen Wert auf die Zügelung des Antisemitismus seitens des polnischen und ukrainischen Volkes. Gehemmt wurde eine zeitgemäße Akkulturation des Judentums in Galizien durch die bestehende auffallende Rückständigkeit, die verspätet einsetzende Modernisierung und deren verschlepptes Tempo. In diesen verarmten Ostgebieten blieben selbst nach der Aufhebung der Leibeigenschaft die traditionellen Agrarverhältnisse bestehen. Unter diesen Umständen errangen jüdische Händler und Pächter große Antipathien. In der polnischen, hauptsächlich aber ukrainischen Bauernschaft fand der Antisemitismus nationalistischer Parteien zur Jahrhundertwende fruchtbaren Boden. In der Klemme zwischen unfreundlicher österreichischer Regierung und feindlicher ukrainischer Gesinnung hat das Judentum Galiziens – sofern es wählen konnte – sich eher für die Polen entschieden. Anlässlich der Volkszählungen hat sich die große Mehrheit – 1910 z.B. 92 % – zur polnischsprachigen erklärt. Sicherlich kamen ähnliche Effekte zur Wirkung, wie im Falle der ungarischen Assimilation: das starke polnische Nationalbewusstsein übte eine größere Anziehungskraft aus, als der abgenutzte, unglaubwürdig gewordene josefinische Staatspatriotismus. Sachlichkeitshalber müssen wir hinzufügen: zur 92 %-igen Polenfreundlichkeit der Mehrheit trug unter anderem bei, dass zur Zeit des Dualismus mindestens eine halbe Million von Juden Galiziens nach Ungarn, Österreich bzw. Amerika emigrierten, was als antipolnisches Votum ausgelegt werden kann. Diese Annahme bestärken Daten des Zensus von 1930 im vereinten Polen. Derzeit, da es möglich war, sich zur jüdischen Nation zu bekennen, haben nur noch 30 % der Juden Galiziens die nationale Gemeinschaft der Polen erwählt. In Galizien kam es also nicht zu einer jüdischen Integration. Die große Mehrheit, rund zwei Drittel, verblieb auch im Laufe des 19. Jahrhunderts im Rahmen der ethnoreligiösen Gemeinschaft und des Ghettolebens. Das verbleibende, sich den Polen hinnähernde Drittel dagegen erreichte ebenfalls nur das Anfangsstadium der Akkulturation. Das Problem einer eventuellen Assimilation im 20. Jahrhundert hat der deutsche Faschismus gelöst...

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Ich war darum bemüht, die vier Typen der Anpassung, Rezeption und Identifikation des Judentums in der Monarchie darzustellen. Als intensivster, größtenteils tatsächlich assimilierter Typ erwies sich der ungarische, als am geringsten realisierter der polnische. Die österreichische und tschechische Modifikation setzte im 19. Jahrhundert ein, verharrte dann später, und dieser Typ blieb unvollendet. Die ungarische Variante erreichte das Niveau der Rezeption durch die Nation. Ich würde somit den ungarischen Typ als eine faktische, den österreichischen als eine ambivalente, den tschechischen als eine tragische Form und den polnischen Typ als eine traditionelle Form des Ghettoschicksals bezeichnen. In dieser Typologie spiegeln sich gleichzeitig Spezifika der deutschen, polnischen und ungarischen Geschichte wieder. Insofern ist die Typologie der Assimilation des Judentums ein charakteristisches Thema der mitteleuropäischen Geschichte.

Zum Abschluss verbleibt mir eine Frage von historischer Gültigkeit, jedoch literarisch inspiriert: hat es überhaupt einen Sinn, nach dem Holocaust, nach der Vernichtung von mehreren Millionen Juden, nach dem das mitteleuropäische Judentum bis auf einen geringen Bruchteil zusammenschrumpfte, nun über eine Typologie der Assimilation zu diskutieren?

Ich bin mir nicht sicher.

Doch wenn all dies auch vom Gesichtspunkt der tatsächlichen Alltagspolitik her keinen Sinn hätte, so bin ich doch der Meinung, dass dem vom Standpunkt der vergleichenden Literaturgeschichte und einer vielleicht aufrichtigeren nationalen Selbstkenntnis, der Gestaltung einer reellen europäischen Identität große Bedeutung zukommt.