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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 1:107–122.

ANDREAS S. SCHMIDT

Ungarns Unabhängige Kleinlandwirte-Partei (FKGP)

Bemerkungen zum Scheitern einer historischen Partei

 

Am 18. November 1988 verkündete der 80-jährige „Kleinlandwirt” Tivadar Pártay im traditionsreichen Budapester Kaffeehaus „Pilvax” die politische Reaktivierung der sogenannten Unabhängigen Partei der Kleinlandwirte, Landarbeiter und Bürger (FKGP). Damit gab er vor dem Hintergrund des immer offensichtlicher werdenden wirtschaftlich-ideologischen Zusammenbruchs des ungarischen Reformsozialismus den Startschuss zur „Wiederbelebung” einer politischen Institution, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bedeutende, allerdings tragisch verlaufende Rolle gespielt hatte und die in Anbetracht ihrer vornehmlichen Mission als Interessenvertretung klein- und mittelbäuerlicher Schichten eng mit der Entwicklung des ungarischen Agrarsektors verbunden gewesen war. Im folgenden Aufsatz sollen die wesentlichen Entwicklungslinien der „wiederbelebten” Partei – eingebunden in den Prozess der politischen und wirtschaftlichen Systemtransformation – analysiert werden und es soll nach den Gründen für das schließliche Scheitern dieser historischen Bewegung gefragt werden.

Hintergründe der Reaktivierung der Kleinlandwirte-Bewegung

Im Mai 1988 fand in Budapest im Zeichen der umfassenden, sich ständig verschärfenden Systemkrise des „Kádárismus” und einer sich grundlegend verändernden weltpolitischen Konstellation eine außerordentliche Landeskonferenz der herrschenden Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei (MSZMP) statt, die das Ende der seit 1956 andauernden „Ära Kádár” bedeutete. Neben einer weitgehenden Erneuerung der politischen Führung kam es hierbei auch zu einer grundlegenden ideologischen Neubestimmung. Unter der Bezeichnung „Sozialistischer Pluralismus” wollte die neue Führung unter Generalsekretär Károly Grósz einerseits an den „bewährten” Grundgedanken der sozialistischen Gesellschaftsordnung, so v.a. an der „führenden Rolle” der Partei festhalten. Andererseits sollten in Richtung Pluralismus weisende Grundsätze wie die verstärkte Beteiligung der Bevölkerung am (sozialistischen) politischen Leben und die Möglichkeit zu kontroversen innerparteilichen Diskussionen verwirklicht werden.

Diese ideologische Aufweichung bildete in den folgenden Monaten den Katalysator für eine ungeahnte, von der neuen Führung um Generalsekretär Károly Grósz nicht beabsichtigte, dynamische Pluralisierung in Partei und Gesellschaft, die schnell die „Systemgrenzen” sprengen sollte. Es kam zum einen zur verstärkten Bildung bzw. zum offenen Hervortreten einer Vielzahl von nicht-sozialistischen politischen Gruppierungen und unabhängigen Gewerkschaftsbewegungen, zum anderen zu einer zunehmenden Polarisierung innerhalb der MSZMP zwischen den Kräften, die den Reformprozess intensivieren wollten und denjenigen Funktionären, die keine weiteren ideologischen Abweichungen mehr zuzulassen bereit waren.

Vor diesem politischen Hintergrund machten sich seit Sommer 1988 unabhängig voneinander mehrere ehemalige Funktionäre der FKGP Gedanken über die Möglichkeit einer politischen „Wiederbelebung” der Kleinlandwirte-Bewegung, so insbesondere Tivadar Pártay und György Balogh, die beide der Partei bereits seit den 30er Jahren angehörten, sowie Károly Ravasz, der 1943 zu ihr gestoßen war. Ein erster gemeinsamer Schritt der „Kleinlandwirte” in diese Richtung erfolgte am 28. Oktober 1988 auf dem Jahrestreffen des nostalgisch-unpolitischen „Freundeskreises” ehemaliger Funktionäre und Abgeordneter der FKGP. Die Anwesenden – darunter auch József Antall und Árpád Göncz – entschlossen sich, die sogenannte „Politische Béla-Kovács-Gesellschaft der Kleinlandwirte-Partei” ins Leben zu rufen und verfassten folgendes Kommuniqué:

„Der Freundeskreis der Unabhängigen Kleinlandwirte-Partei hielt am 28. Oktober 1988 eine Zusammenkunft ab. Er stellte fest, dass die Unabhängige Kleinlandwirte-Partei niemals ihre Auflösung verkündet hat und nicht aufgelöst wurde. Deshalb beginnt die Politische Béla-Kovács-Gesellschaft der Kleinlandwirte-Partei unter Aufrechterhaltung der rechtlichen Kontinuität ihre Tätigkeit. Es ist ihr Ziel, der Weiterentwicklung des politischen Pluralismus zu dienen und, unter Beachtung der veränderten gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, ihre Funktion als politische Partei vorzubereiten...”

Die Reaktion der neuen MSZMP-Führung auf dieses provozierende Manifest war für die damalige, zutiefst widersprüchliche Situation charakteristisch: Einerseits wurde die Veröffentlichung des Pressekommuniqués in den ungarischen Medien unterbunden, andererseits unternahm man allerdings nichts, die „Gesellschaft” zu behindern oder gar aufzulösen.

Nach dem insoweit erfolgreichen „Ins-Leben-Treten” der „Kleinlandwirte-Gesellschaft” entwickelten sich unter den beteiligten Personen zwei unterschiedliche Einstellungen bezüglich des weiteren Vorgehens. Während ein Teil, der durch die Ablehnung des Kommuniqués verunsichert worden war, sich nunmehr von einer baldigen Parteibildung distanzierte, forderte die in erster Linie von Károly Ravasz repräsentierte andere Richtung nun noch entschlossener eine sofortige Reaktivierung. Auf sein Betreiben hin konstituierte am 12. November 1988 eine Gruppe meist jüngerer, politisch aktiver Personen einen Ortsverband der FKGP in Szentendre. Dieses Ereignis verbreitete Radio „Free Europe” in ganz Ungarn. Daraufhin wurde auch Tivadar Pártay in Sachen „Wiederbelebung” aktiv. Gegen den Widerstand einiger „Schwankender” rief er am 18. November 1988 ca. 80 „Kleinlandwirte” und die Mitglieder der neugegründeten Szentendre-Ortsgruppe im Budapester Kaffeehaus Pilvax zusammen, erklärte dort die FKGP für „wiederbelebt” und setzte eine weitgehend von ihm bestimmte „Provisorische Parteiführung” durch. Pártay selbst wurde auf diese Weise Vorsitzender der reaktivierten Partei.

Damit war in Ungarn nach 40-jähriger Unterbrechung erstmals wieder eine politische Organisation konstituiert worden, die sowohl begrifflich-formal das Parteienmonopol der MSZMP brach, also auch in Hinblick auf ihre Zielsetzung substantiell eine „Partei” bildete; die reaktivierte FKGP strebte nämlich eine Rolle als von den sozialistischen Machthabern unabhängige parlamentarische Vertretung in einem Mehrparteiensystem westlicher Prägung an. Dies ging auch deutlich aus den „Leitlinien zur Ausarbeitung eines Parteiprogramms” hervor, die noch am Tage der Reaktivierung verabschiedet worden waren und mit denen sich die „Kleinlandwirte” gleichzeitig explizit in die Tradition des Parteiprograms von Békés aus dem Jahre 1930 stellten.

Zweifellos gaben die Ereignisse vom 12./18. November, die von ausländischen Medien sofort verbreitet wurden, nicht nur in Ungarn einen starken Impuls zu weiteren Parteigründungen und „Wiederbelebungen”, sondern trugen als Präzedenzfall auch in anderen Ländern des „Ostblocks” zur Verstärkung des Pluralisierungsprozesses bei. Mit der v.a. von Ravasz und Pártay initiierten „Wiederbelebung” wurden letztlich vollendete Tatsachen geschaffen, denen das ideologisch immer widersprüchlicher gewordene, in „radikale Reformer”, „gemäßigte Reformer” und „Konservative” gespaltene sozialistische Regime kaum mehr Widerstand entgegensetzte. So wurde lediglich dafür gesorgt, dass die Reaktivierung der FGKP einen Monat lang von der ungarischen Presse verschwiegen werden musste und das Justizministerium unternahm den schwächlichen Versuch, eine angeblich existierende Liquidierungsverordnung aus dem Jahre 1957 gegen die „Kleinlandwirte” auszuspielen.

Trotz dieses wichtigen Schrittes in Richtung eines faktischen Mehrparteiensystem stellte die Reaktivierung der Kleinlandwirte-Bewegung allerdings insofern einen politischen „Spätstart” dar, als die beiden markantesten, die intellektuellen Hauptströmungen Ungarns aufnehmenden oppositionellen Bewegungen sich bereits zuvor, wenn auch nicht in Form einer Partei, herausgebildet hatten. So war das Ungarische Demokratische Forum (MDF), in dem der „Demokratische Populismus” stark vertreten ist, schon Ende September 1987 in Lakitelek ins Leben gerufen worden und die liberalen „Urbanen” hatten mit dem „Netzwerk Freier Initiativen”, aus dem später der Bund Freier Demokraten (SZDSZ) hervorging, im Frühjahr 1988 eine oppositionelle Organisation geschaffen. Der größte Teil der ungarischen oppositionellen Intelligenz war daher im November 1988 politisch-organisatorisch bereits gebunden.

Der „Geburtsfehler” der Kleinlandwirte-Partei

Die personelle Zusammensetzung der Führungsschicht der reaktivierten Kleinlandwirte-Partei sollte sich allerdings nicht nur wegen des Mangels an Intellektuellen als besonders ungünstig erweisen. Ein weiteres Problem stellte die Tatsache dar, dass die einstige Führungsgarde der FKGP aus den Nachkriegsjahren größtenteils bereits verstorben war bzw. sich aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht mehr am politischen Leben Ungarns beteiligen wollte. So standen für die Reaktivierung keine einstigen Spitzenfunktionäre bzw. anerkannte Führungspersönlichkeiten mehr zur Verfügung, sondern letztlich nur mehr ehemalige Funktionäre der zweiten und dritten „Garnitur”, die 1988 meist bereits das 70. Lebensjahr überschritten hatten. Das Grundproblem der FKGP in personeller Hinsicht stellte allerdings die mit der „Wiederbelebung” einhergehende extreme Heterogenität ihrer Funktionärsschicht dar, die vier fundamentale Konfliktlinien in der neugeschaffenen Parteiführung entstehen ließ.

Erstens offenbarten sich unter den verbleibenden ehemaligen Repräsentanten der Partei schnell starke persönliche Spannungen, die historisch-politischer und biographischer Herkunft waren. Sie beruhten letztlich auf den unterschiedlichen Rollen, die diese Personen in der „alten” FKGP gespielt hatten, auf den damaligen Auseinandersetzungen und auf ihren unterschiedlichen Schicksalen während der vergangenen vierzig Jahre. In besonders scharfer Form äußerte sich dieser Konflikt zwischen denjenigen „Kleinlandwirten”, die unter Führung István Dobis mit den Kommunisten zusammengearbeitet hatten und später einen Platz im sozialistischen System fanden und denjenigen, die nicht zur Kooperation bereit gewesen waren und daher oft hart verfolgt wurden. Zweitens traten heftige Spannungen zwischen den wenigen Intellektuellen und der „nichtintellektuellen Mehrheit” in der Parteiführung zu Tage. Ein drittes Konfliktpotential entstand dadurch, dass mit der Bildung des Szentendre-Ortsverbandes eine Reihe junger Personen, die unter den Bedingungen des Kádárismus’ aufgewachsen waren und die sich durch ihr Denken und Handeln stark von den alten Funktionären unterschieden, zur Kleinlandwirte-Bewegung stießen. Im Zuge des Ausbaus der Parteiorganisation vergrößerte sich das Spannungspotential noch um eine vierte Dimension, da eine größere Anzahl von Personen aus der Gruppe der meist noch im Berufsleben stehenden „praktischen Intelligenz” der Provinz, oft Agraringenieure und Tierärzte, in den Parteiapparat eintrat, die ebenfalls nur selten mit der „alten” Partei in Berührung gekommen waren. Dies brachte nicht nur eine Verschärfung des Generationenkonfliktes in die Parteiführung mit sich, sondern trug auch den historischen Konflikt zwischen Metropole und Provinz in die Parteispitze.

Diese Zusammensetzung der FKGP-Funktionärsschicht, die von Anfang an unterschiedlichste Charaktertypen und Denkweisen aufeinander treffen ließ und dadurch ein ausgeprägtes, sich oft gegenseitig potenzierendes Konfliktpotential schuf, kann als der „Geburtsfehler” der Partei bezeichnet werden. Nur vor diesem Hintergrund werden Dauer, Häufigkeit und Intensität der von Beginn der Reaktivierung an erfolgenden inneren Auseinandersetzungen bei den „Kleinlandwirten” verständlich, die bis in die unmittelbare Gegenwart anhalten und im gegenwärtigen politischen Leben Ungarns ohne Vergleich sind. Die extremsten Beispiele für den Ausbruch dieser Konflikte boten die seit 1989 mehrmals abgehaltenen Delegiertenversammlungen, die fast ausnahmslos einen chaotischen, mehr von persönlichen Anfeindungen als von einer Diskussion aktueller politischer Probleme gekennzeichneten Verlauf nahmen. Sie offenbarten sich aber auch in der großen Anzahl von in den Medien offen ausgetragenen Streitigkeiten, in der Vielzahl von Parteiausschlüssen und in der Abspaltung der sogenannten „Nationalen Kleinlandwirte- und Bürgerpartei” im Dezember 1989.

Folge dieser innerparteilichen Situation war zum einen, dass es den „Kleinlandwirten” nicht gelang, eine stabile, unumstrittene Parteiführung und funktionsfähige Organisation auf oberer Ebene zu etablieren. Zwischen November 1988 und Juni 1991 kam es insgesamt zu vier grundlegenden Wechseln an der Parteispitze. So wurde der zur Gruppe der „verfolgten Alten” gehörende Pártay bereits im Frühjahr 1989 von einer Parteiführung abgelöst, die von dem „kollaborationswilligen Alten” György Balogh dominiert wurde. Die „alte Garde” wurde schließlich im April 1990 von der „praktischen Intelligenz” aus der Provinz um den Agraringenieur Ferenc József Nagy, den sogenannten „Jungtürken”, ersetzt und diese wiederum im Juni 1991 von dem äußerst ambitionierten Rechtsanwalt József Torgyán ins Abseits gedrängt. Desweiteren waren die „Kleinlandwirte” unter diesen Umständen nicht in der Lage, effektive Programmarbeit zu leisten und der Partei ein klares und modernes Profil zu verleihen, was sich später als besonders verhängnisvoll erweisen sollte. Und schließlich führte diese Situation auch dazu, dass das Ansehen der einst hochgeachteten Kleinlandwirte-Partei in der ungarischen Öffentlichkeit schnell auf einen extremen Tiefpunkt sank, was sich prägnant in der politischen Karikatur und Satire widerspiegelte.

Die Integration der Kleinlandwirte-Partei in das politische Leben

Trotz ihres „Geburtsfehlers” und der daraus hervorgehenden permanenten inneren Krisensituation konnten einige engagierte „Kleinlandwirte” in den ersten Monaten nach der „Wiederbelebung” eine Reihe wichtiger Erfolge verzeichnen und es gelang ihnen schließlich, ihre Partei im Laufe des Frühjahrs und Sommers 1989 an den entscheidenden Stellen in das politische Geschehen Ungarns einzuschalten. Relativ schnell überwanden die „Kleinlandwirte” den von der Führung der Sozialistischen Partei verfügten Medienboykott. So konnte bereits am 10. Dezember 1988 ein Interview mit Károly Ravasz über die reaktivierte FKGP in der Wochenzeitschrift Heti Világgazdaság erscheinen und am 15. Dezember wurde mit Zustimmung des „konservativen” Parteiideologen János Berecz ein weiterer Artikel in der Tageszeitung Magyar Nemzet veröffentlicht. Darin brachte Ravasz die Hoffnung auf eine baldige politische Anerkennung der FGKP zum Ausdruck und hob die Forderung des „friedlichen Übergangs zu einer parlamentarischen Mehrparteien-Demokratie” als ihr maßgebliches Ziel hervor.

Gleichzeitig kamen auch erste Kontakte zu führenden Funktionären der MSZMP zustande, darunter zu János Berecz, István Huszár, Rezsö Nyers und György Fejti. All diese frühen Kontaktaufnahmen verliefen allerdings im Sande. Dies lag letztlich daran, dass innerhalb der „konservativen” MSZMP-Spitze, insbesondere bei Generalsekretär Grósz, keine Bereitschaft bestand, der „Opposition” Zugeständnisse in Richtung Mehrparteiensystem und Pluralismus zu machen.

Eine wichtige Veränderung in dieser Hinsicht erfolgte erst Mitte Februar 1989, als in Anbetracht der stattgefundenen Pluralisierung, des Vorwärtsdrängens der parteiinternen Reformer um Imre Pozsgay und der Erkenntnis, dass diese Entwicklungen auf gewaltfreie Weise kaum mehr rückgängig zu machen seien, schließlich auch Generalsekretär Grósz auf einer Sitzung des Zentralkomitees der MSZMP am 10./11.Februar 1989 die Aufgabe seines Widerstands gegen ein Mehrparteiensystem verkündete. In der anschließend bekannt gemachten Stellungnahme sprach sich die Parteiführung erstmals in aller Öffentlichkeit für ein sich allmählich entwickelndes Mehrparteiensystem aus und erklärte sich gleichzeitig zur Zusammenarbeit mit „allen verantwortlichen politischen Faktoren” bereit.

Die FKGP sowie zehn weitere oppositionelle Bewegungen, darunter das MDF, der SZDSZ, der Bund Junger Demokraten (Fidesz) sowie die mittlerweile ebenfalls reaktivierte Sozialdemokratische Partei (MSZDP), äußerten sich daraufhin in einer gemeinsamen Erklärung erfreut über die Akzeptanz des Mehrparteiensystems durch die MSZMP, hoben aber gleichzeitig die Bedeutung des Prinzips der Gleichberechtigung hervor. Darüber hinaus schlugen sie in Anknüpfung an das Gesprächsangebot des ZK’s „nationale Rundtisch-Verhandlungen” zwischen der Führung der MSZMP und den oppositionellen Bewegungen vor.

Die Abhaltung eines „Runden Tisches” mit gleichberechtigten oppositionellen Gesprächspartnern ging der MSZMP-Führung allerdings zu weit. Dies war bereits durch Grósz’ Rede während der genannten ZK-Sitzung deutlich geworden, als dieser äußerte, man solle sich überlegen, wie der Prozess der Herausbildung des Mehrparteiensystems beeinflusst werden könne, um die führende Rolle der Partei zu erhalten. Entsprechend seiner Beeinflussungstaktik fand er sich in den folgenden Wochen lediglich dazu bereit, einzeln mit den noch immer schwachen Oppositionskräften zu verhandeln, wogegen sich diese aus Furcht vor einer „Salamitaktik” der MSZMP verständlicherweise sträubten. Für die Weiterentwicklung hin zu einem offenen Mehrparteiensystem mit Chancengleichheit aller Kräfte sollte nun von entscheidender Bedeutung werden, wie sich das Kräfteverhältnis innerhalb der MSZMP in Zukunft gestalten würde, d.h. ob sich die „radikalen Reformer” um Imre Pozsgay, die sich nun immer offener und energischer für ein politisches System westlich-sozialdemokratischer Prägung und gegen ihre „konservativen” Parteikollegen aussprachen, würden durchsetzen können. Tatsächlich gelang es den „radikalen Reformern” in den kommenden Monaten, ihre parteiinternen Gegner in zunehmendem Maße ins politische Abseits zu drängen. Durch diese Entwicklung wurde im Juni 1989 der Weg zu den alles entscheidenden Verhandlungen zwischen der sich mittlerweile unter Beteiligung der „Kleinlandwirte” zum „Oppositionellen Runden Tisch” zusammengeschlossenen nicht-sozialistischen Bewegungen und der Ungarischen Sozialistischen Arbeiterpartei frei. In einer am 10. Juni 1989 veröffentlichten, von beiden Seiten angenommenen Vereinbarung beschloss man, sich über den friedlichen politischen Übergang zur repräsentativen Demokratie und zum Rechtsstaat mittels Verständigung zwischen gleichberechtigten Verhandlungspartnern zu einigen.

Die vom 13. Juni bis zum 18. September 1989 andauernden Gespräche entwickelten sich trotz heftiger Kontroversen in mehreren Fragen erfolgreich und wurden damit zum entscheidenden Schnittpunkt im epochalen Prozess des politisch-ideologischen Paradigmenwechsels. An ihrem Gelingen wirkte auf Seiten der FGKP neben einer Reihe mehr oder weniger kompetenter Personen insbesondere der engagierte, aber kompromissbereite Rechtsanwalt Imre Boross mit, der den zerstrittenen „Kleinlandwirten” eine nicht unbedeutende Rolle bei den Verhandlungen sicherte.

Obwohl man sich während dieser dreimonatigen Verhandlungen in einigen Fragen wie der Parteienfinanzierung oder der Liquidierung der bewaffneten „Arbeiterwachen” nicht hatte einigen können, kam man in den entscheidenden Punkten des Systemwechsels zu folgenreichen Übereinkünften. So vereinbarten die Verhandlungspartner u.a. Abhaltung und Modus von Parlamentswahlen und man konnte sich auf eine Vielzahl grundlegender konstitutioneller Änderungen einigen, die letztlich die Basis einer qualitativ neuen Verfassung westlich-pluralistischer Prägung schufen. Damit war der Weg der „Opposition” an die politische Macht geebnet.

Die Reprivatisierung der ungarischen Landwirtschaft

Aufgrund der bereits angesprochenen inneren Krisensituation gelang es den „Kleinlandwirten” erst im unmittelbaren Vorfeld der Parlamentswahlen, ein verbindliches und umfassendes Partei- und Wahlprogramm zu entwickeln. Die FKGP ordnete sich im ideologischen Spektrum Ungarns eindeutig in die Gruppe der den „Demokratischen Populismus” vertretenden politischen Kräfte ein, der auch die Ungarische Volkspartei (MNP), die Christdemokratische Volkspartei (KDNP) und der Großteil des MDF angehören, und hob ihre historische Rolle als bäuerliche Agrarinteressenvertretung hervor. Ihre programmatischen Ausführungen unterschieden sich allerdings nur in einem Punkt markant von den Vorstellungen der übrigen politischen Kräfte, nämlich in der Frage der Eigentumsreform, in der ungarischen Landwirtschaft:

„Es ist die historische Verpflichtung der FKGP, für die vollständige Rehabilitierung der ca. 650.000 ungarischen Bauern und ‘Kulaken’ einzutreten, die umgebracht, schwer geschlagen, deportiert und ihrer natürlichen Lebensgrundlage beraubt wurden. Die Bauern sollen den ihnen durch Arglist weggenommenen Boden zurückerlangen und die ursprünglichen Eigentümer ihre Eigentumsrechte zurückerhalten... Die Grundlage für den Rückerhalt des privaten Ackerbodens, der in die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und Staatsgüter hineingezwungen wurde (sic!), stellt das Bodengesetz 600 von 1945 dar. Die Eigentümer oder ihre Erben sollen dann frei entscheiden, ob sie ihren Boden zurücknehmen und bearbeiten oder ihn den Genossenschaften und Staatsgütern auf Grundlage einer freien Übereinkunft verpachten.”

Dieser Programmpunkt, der während des Parlamentswahlkampfes zur eingängigen Parole „Rückgabe des Bodens gemäß dem rechtlichen Zustand von 1947!” zusammengefasst wurde, sollte das programmatische Antlitz der FKGP im politisch entscheidenden Jahr 1990 in so starkem Ausmaße „brandmarken”, dass sie meist nur mehr als „single-issue party” angesehen wurde.

Will man nun versuchen, die Qualität der von Anfang an in der ungarischen Gesellschaft heftig diskutierten Reprivatisierungs-Forderung zu beurteilen, so bieten sich hierfür unterschiedliche Kriterien an. Bereits bei der grundlegenden Frage nach der praktischen Durchführbarkeit ergibt sich die Schwierigkeit, dass wegen baulicher und landschaftlicher Veränderungen allein im Zuge der Industrialisierung Ungarns „verschwanden” innerhalb der letzten 40 Jahre ca. ein Sechstel der landwirtschaftlichen Nutzfläche- die geforderte dogmatische Wiederherstellung der einstigen eigentumsrechtlichen Verhältnisse in vielen Fällen überhaupt nicht zu verwirklichen gewesen wäre. Diese Problematik erkannten die „Kleinlandwirte” allerdings bald selbst und führten daher in ihrem späteren Bodengesetz-Entwurf die Alternative eines „gleichwertigen Austauschbodens” ein.

Einen weiteren Prüfstein stellt die Überlegung nach den voraussichtlichen gesamtwirtschaftlichen Konsequenzen dar. Mit der Reprivatisierung in der Landwirtschaft als Entschädigung für einstiges, vom Staat zugefügtes Unrecht wäre eigentumsrechtlich ein Präzedenzfall geschaffen worden, der im Zuge des von der Mehrzahl der Oppositionskräfte angestrebten Entschädigungsprozesses zwangsläufig zu Rückgabeforderungen bei anderen enteigneten Vermögensgegenständen geführt hätte. Dadurch aber wäre letztlich das gesamte Eigentumsgefüge Ungarns ins Wanken geraten und aufgrund der Rechtsunsicherheit der Prozess der Wirtschaftsprivatisierung gefährdet worden, nicht zuletzt auch wegen der Verunsicherung ausländischer Investoren.

Aber auch die vorhersehbaren Auswirkungen auf die Leistungs- und Innovationsfähigkeit der ungarischen Landwirtschaft wären äußerst negativ gewesen. Im Falle einer rechtlichen Wiederherstellung der Eigentumsverhältnisse von 1947 hätte sich im ungarischen Agrarsektor eine durch kleinste Einheiten gekennzeichnete Eigentumsstruktur herausgebildet. Mehr als 95 Prozent aller privaten Betriebe umfassten nämlich bei Abschluss der Bodenreform Ende 1947 nicht mehr als 11,5 Hektar Ackerboden und die durchschnittliche Betriebsgröße betrug knapp drei Hektar. Eine Wiederherstellung derartiger Eigentumsstrukturen hätte allerdings nicht notwendigerweise zu einer Rückkehr zu den damaligen kleinen Betriebsstrukturen führen müssen. Die Auswirkungen der Reprivatisierung auf die Betriebsstrukturen wären davon abhängig gewesen, wie sich die wieder in ihre Rechte eingesetzten Eigentümer verhalten hätten.

Im Falle einer Rückforderung des Bodens zwecks eigener Bearbeitung hätte dies in der Regel zur Entstehung von landwirtschaftlichen Betrieben mit selten mehr als zwölf Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche geführt. Derartige kleinbäuerliche Wirtschaften sind heute, wo man auch in Ungarn je nach Produktionsprofil zwischen 30 und 70 Hektar als Minimum für einen wirtschaftlich effektiven Familienbetrieb veranschlagt, als völlig unzureichend anzusehen. Darüber hinaus wären für die Errichtung eines funktionierenden privaten Betriebs Investitionen in Höhe von zweistelligen Millionen-Beträgen (in Forint) notwendig geworden, zu denen kaum jemand in der Lage gewesen wäre.

Ein Großteil der zur Reprivatisierung berechtigten Personen wäre allerdings aufgrund des in den letzten vierzig Jahren erfolgten radikalen Wandels in der Sozial- und Beschäftigungsstruktur Ungarns gar nicht daran interessiert gewesen, ihren Boden als Privatbauern zu bewirtschaften. Im Falle der Absicht, den reprivatisierten Boden zu verpachten, sah das Programm der „Kleinlandwirte” den Abschluss von „freien Übereinkünften” mit den weiter existierenden Staatsgütern oder den sich zu Pachtgenossenschaften umwandelnden LPG’s vor. Aufgrund der sich bereits seit einigen Jahren abzeichnenden strukturellen Krise in der ungarischen Landwirtschaft wäre es allerdings keineswegs sicher gewesen, dass die sich oft in einer sehr schwierigen finanziellen Lage befindenden Genossenschaften überhaupt Boden gepachtet hätten. In Anbetracht des Kapitalmangels, der allgemein schlechten Gewinnaussichten im Agrarsektor und wegen des Fehlens von entsprechender Sachkenntnis hätten sich letztlich wohl auch kaum genügend private Interessenten gefunden. So wäre dann zwangsläufig ein Teil des reprivatisierten Bodens zu Brachland geworden. Im Falle des Verkaufs von reprivatisiertem Boden wäre der Verkaufspreis voraussichtlich aufgrund des großen Angebots und der geringen Nachfrage sehr niedrig gelegen. Dies hätten v.a. einige kapitalkräftige ungarische Spekulanten zu günstigem Bodenerwerb ausnutzen können.

Die unmittelbare Reprivatisierung wäre also letztlich kein geeignetes Mittel gewesen, funktionierende bäuerliche Privatbetriebe hervorzubringen und darüber hinaus hätte das „Herausziehen” von landwirtschaftlicher Nutzfläche aus den Genossenschaften und Staatsgütern, aus deren Bodenfonds die Reprivatisierungs-Forderungen hätten befriedigt werden sollen, auch deren Existenz und Umwandlungsfähigkeit existentiell gefährdet. So wäre in diesem bis heute wichtigen Wirtschaftssektor kurz- wie langfristig die Effektivität der Produktion stark vermindert und dadurch sowohl die bisher funktionierende Lebensmittelversorgung der Bevölkerung als auch der volkswirtschaftlich wichtige Export von Agrarprodukten gefährdet worden. Das Problem der Eigentumsreform erwies sich eben doch komplizierter, als dass man es durch das Prinzip „Wo der alte Eigentümer zurückkehrt, funktioniert die Sache!” hätte lösen können.

Die Schwäche des Reprivatisierungs-Programms zeigte sich aber auch an den ungünstigen Auswirkungen auf die Mitglieder- und Wählerbasis der FKGP. Entgegen ihrer Absicht gelang es damit nicht, zur „Partei des ungarischen Bauerntums” zu werden. Die „Kleinlandwirte” hatten es nämlich versäumt, die 40-jährigen Veränderungen in der ungarischen Sozial- und Berufsstruktur in Rechnung zu stellen. So erreichten sie mit ihrem Reprivatisierungsprogramm den Großteil der heute in der Landwirtschaft beschäftigten Personen, nämlich die Genossenschaftsbauern und die Angestellten der Staatsgüter, nicht. Ein Drittel der Genossenschaftsbauer, deren Bodeneigentum im Grundbuch vermerkt blieb, hatte bereits unter der Regierung Németh die volle Verfügungsgewalt über ihren Boden zurückerhalten. Die übrigen zwei Drittel der Genossenschaftsbauern, die selbst über keinen eigenen Boden verfügt hatten und deshalb auch nicht in den Genuss einer Reprivatisierung gekommen wären, befürchteten dagegen, dass sie im Falle der Durchführung der Reprivatisierung wieder zu besitzlosen Landarbeitern werden würden. Darüber hinaus war auch diejenige Personengruppe, deren Boden enteignet oder gegen eine bedeutungslose Summe „abgelöst” worden war, sowie ihre Erben, meist längst vom Landleben „abgekoppelt” und in den industriellen Ballungszentren tätig, so dass die „Kleinlandwirte” auch hier keine größere Anzahl von Anhängern gewinnen konnten.

Dementsprechend war es nicht verwunderlich, dass der Partei als Wählerbasis bei den Parlaments- und Kommunalwahlen 1990 nur die älteren, auf dem Lande lebenden und nur über einen niedrigen Schulabschluss verfügenden Bevölkerungsteile verblieben. Diese Gruppe wählte die Partei wohl teilweise aus ihrem menschlich verständlichen Verlangen nach Wiedergutmachung für einst erlittene Ungerechtigkeiten, teilweise aber auch aus „Nostalgie” oder wegen des betont antikommunistischen Auftretens vieler „Kleinlandwirte”.

Die Wahlkampfaktivitäten der FGKP waren im Frühjahr 1990 ganz vom persönlichen Stil ihres Wahlbüroleiters József Torgyán geprägt, dessen populistisch-demagogische Art und Weise großes Aufsehen erregte und selbst in der FKGP wegen ihrer Radikalität auf Kritik stieß. Dabei waren Äußerungen Torgyáns wie „verglichen mit den Kommunisten sind die Faschisten nur Ministranten, die die Erstkommunion empfangen” keine Seltenheit.

Die am 25. März bzw. 8. April in zwei Wahlgängen nach einem kombinierten Mehrheits- und Verhältniswahlsystem abgehaltenen Parlamentswahlen führten schließlich zu einem für die „Kleinlandwirte” enttäuschenden, aber ihrer programmatischen Schwäche entsprechenden Ergebnis: Anstelle des erwarteten 20- bis 30-prozentigen Stimmenanteils auf der Landesliste erhielten sie nur 11,7 Prozent der Wählerstimmen, von den insgesamt 386 Mandaten konnte die Partei lediglich 44 auf sich vereinigen. Dennoch wurde die FKGP aufgrund des Gesamtergebnisses bei der anstehenden Regierungsbildung, die dem Demokratischen Forum als Wahlsieger (165 Mandate) oblag, zu einem entscheidenden Faktor.

Die „Kleinlandwirte” in der Koalition

„Wahlmathematisch” war das MDF zur Bildung der von Parteichef József Antall angestrebten „christlich-nationalen Koalition” unbedingt auf die Mitarbeit der 44 „Kleinlandwirte” angewiesen. Diese sprachen sich ihrerseits wegen der ideologischen Affinität zum MDF in und der Hoffnung, innerhalb der Koalition eine „Zünglein-an-der-Waage”-Position einnehmen zu können, ebenfalls für ein Zusammengehen mit dem MDF aus. Gleichzeitig betonten sie allerdings, dass es für die Koalitionsbildung entscheidend sei, dass das MDF ihr Reprivatisierungsprogramm akzeptiere. Allem Anschein nach erreichte man in dieser Frage auch eine Übereinkunft, so dass man am 18. April 1990 folgende gemeinsame Erklärung unterzeichnete:

„Das MDF und die FKGP nehmen gegenseitig den Entwurf des Agrarprogramms der jeweils anderen Partei als Grundlage der Koalitionsverhandlungen an und sehen eine Möglichkeit, diese aufeinander abzustimmen. Die beiden Parteien halten es für notwendig und unverzichtbar, die Eigentumsverhältnisse zu ordnen und das Privateigentum zu stärken. Deshalb ersuchen sie den Justizminister sowie den Minister für Landwirtschaft und Ernährung, ein Gesetz auszuarbeiten, das der Rehabilitierung des Grundeigentums [földtulajdoni rehabilitáció] dienen soll und schnell verwirklichbar ist. Es ist notwendig, dass das neue Gesetz für die Abhilfe der entstellten Eigentumsverhältnisse sorgt, indem es den aufgrund der Bodenreform bis 1947 ausgebildeten Grundeigentumszustand als Ausgangssituation nimmt. Neben der Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Landwirtschaft wünschen die Parteien unserer Bauernschaft für die erlittenen Schädigungen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.”

Im Zuge der anschließenden Koalitionsverhandlungen einigte man sich auch auf die Verteilung der Minister- und Staatssekretärsposten, wobei die FKGP vier der 16 Ressorts bekam. Das erfolgreiche Zustandebringen der Koalition unter Ministerpräsident József Antall, an der sich auch die KDNP mit ihren 21 Mandaten beteiligte, ermöglichte es den „Kleinlandwirten”, nach 40 Jahren erstmals wieder Regierungsverantwortung zu tragen. Durch die Übernahme des Landwirtschaftsministeriums war man darüber hinaus sehr optimistisch in Hinblick auf die Möglichkeit, nun entscheidenden Einfluss auf die zukünftige ungarische Agrarpolitik ausüben zu können. Vor diesem, für die Durchführung der Reprivatisierung scheinbar günstigen Hintergrund stellte die FKGP am 10. Juli 1990 ihren Entwurf für das zukünftige sogenannte „Bodengesetz” vor, dessen zentrale Bestimmung ganz im Sinne ihrer Wahlkampfforderung ausfiel: „Das Eigentumsrecht des ehemaligen Eigentümers an seinem ursprünglichen Boden..., das diesem nach dem 31. Dezember 1947 entzogen wurde, muss auf dessen Antrag hin bis zum maximalen Umfang von 200 Katastraljoch bzw. 116 Hektar wiederhergestellt werden.” Alternativ könne er auch einen, dem Goldkronenwert seines ehemaligen Grundstückes entsprechenden Austauschboden erhalten. Im Verlauf der daraufhin erfolgenden Beratungen der Koalitionsparteien schien es nach außen hin ganz so, als sei in der Frage des „Bodengesetzes” Einigkeit erzielt worden, so dass die Annahme des Gesetzesentwurfs noch im August erwartet wurde. Als Ministerpräsident Antall allerdings dessen Vorlage im Parlament immer wieder verzögerte, wurde offensichtlich, dass das MDF entgegen dem bisherigen, für das Zustandebringen der Koalition notwendigen Eindruck nicht wirklich hinter der Forderung seines Koalitionspartners stand.

Dieser Sachverhalt war lange Zeit durch die Doppelbedeutung des Begriffs der „Rehabilitierung” des Grundeigentums verdeckt worden. In den entscheidenden Dokumenten zur Bildung der Koalition war nämlich nie von „Reprivatisierung” die Rede, sondern immer von „Rehabilitierung”. Dabei schienen die „Kleinlandwirte” darunter zu verstehen, dass der ehemalige Eigentümer wieder in seine Rechte eingesetzt werden und somit eine Reprivatisierung im Sinne des Rückerhalts der Eigentumsrechte erfolgen sollte. Demgegenüber wollte das MDF „Rehabilitierung” nur als eine „Leistung von Genugtuung” verstehen, die auf Basis moralischer und materieller Entschädigung im Rahmen des wirtschaftlich Tragbaren erfolgen sollte. Die Ablehnung einer Reprivatisierung im Sinne der FKGP wurde schließlich auch in der schriftlichen Ausarbeitung des MDF-Regierungsprogrammes vom September 1990 deutlich. In der vierseitigen Beschreibung der agrarpolitischen Pläne der Antall-Regierung war das Prinzip der Reprivatisierung mit keinem Wort erwähnt. Man betonte lediglich, dass die Reform des Bodeneigentums eine wirtschaftliche Notwendigkeit sei und man wolle, „dass der Ackerboden Eigentum derjenigen werde, die fähig sind, ihn unter den gegebenen Bedingungen wirksam zu bearbeiten und die langfristig am Erhalt bzw. der Verbesserung seiner Produktivität interessiert sind.” Damit brachte das MDF deutlich zum Ausdruck, dass man bei der Eigentumsreform in der Landwirtschaft in erster Linie das Augenmerk auf die Wahrung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit legte.

Das Demokratische Forum befand sich zu dieser Zeit in einer besonderen Zwangslage, denn einerseits wollte es regierungsfähig bleiben und die Koalition dementsprechend aufrecht erhalten, andererseits war man aber aus einleuchtenden Gründen nicht bereit, das Reprivatisierungs-Wahlversprechen der FKGP zu übernehmen. Schließlich trat Ministerpräsident Antall die „Flucht nach vorne” an und wandte sich im September mit zwei Fragen an das Verfassungsgericht. Die erste Frage lautete, ob denn die (vollständige) Rückgabe des Bodens an die ehemaligen Eigentümer bzw. demgegenüber die geplante, nur teilweise Entschädigung der übrigen einstigen Eigentümer (z.B. von Geschäften, Betrieben usw.) nicht gegen die Verfassung verstoße. Die zweite Frage betraf das Problem, ob der entschädigungslose Entzug von Genossenschaftsboden mit der Verfassung zu vereinbaren sei. Anfang Oktober bewertete das Verfassungsgericht das vorbereitete „Bodengesetz” in beiden Fällen als verfassungswidrig. Die Koalition war damit in eine Sackgasse geraten.

Erst Mitte November 1990 gelang es auf dem Agrarforum von Kiskunmajsa, eine entscheidende Wende in der Diskussion um die „Bodenfrage” einzuleiten, als sich Agrarexperten darauf einigten, dass die Bodenfrage nun nicht mehr über die unmittelbare Rückgabe des einstigen Eigentums angegangen werden sollte, sondern über eine Entschädigung der ehemaligen Eigentümer mittels Obligationen, die gegen Boden einlösbar sein sollten. Es wurde allerdings schnell deutlich, dass diese Einigung der Experten innerhalb der FKGP durchaus umstritten war. In den folgenden Monaten entstand innerhalb der Partei ein sich zunehmend verschärfender Konflikt zwischen denjenigen Kräften um Parteichef Ferenc József Nagy, die die Expertenvereinbarung unterstützten und denjenigen „orthodoxen” Kräften um Fraktionschef József Torgyán, die weiterhin an der Reprivatisierungs-Forderung festhielten.

Währenddessen legte Ministerpräsident Antall Anfang Dezember 1990 während einer Koalitionssitzung einen ersten Entwurf des sogenannten „Entschädigungsgesetzes” vor, das sich nicht nur mit der Frage der Eigentumsreform in der Landwirtschaft befasste, sondern mit dem gesamten Komplex der Entschädigung von Enteignungen bzw. Verstaatlichungen während der sozialistischen Herrschaft. Der Gesetzentwurf sah vor, allen Personen (bzw. deren Nachkommen) eine teilweise Entschädigung zukommen zu lassen, die nach dem 8. Juni 1948 bezüglich ihres Eigentums Schaden erlitten hatten. Die Entschädigungssumme sollte sich dabei durch Multiplikation von dessen einstigem Wert (unter Berücksichtigung der stattgefundenen Inflation bzw. des ehemaligen Goldkronenwertes) mit einem degressiven Entschädigungsschlüssel errechnen, wobei eine maximale Entschädigung von 60 Prozent des Schadenswertes geleistet werden sollte. Mittels entsprechender „Entschädigungs- Gutscheine” sollten dann später im Rahmen der Privatisierung zum Verkauf angebotene Vermögensgegenstände erworben werden können, darunter auch Boden aus dem Bestand der LPG’s, die ihrerseits entsprechend entschädigt werden sollten.

Mit diesem Entwurf hatte man zwar die Einwendungen des Verfassungsgerichts berücksichtigt, er wurde allerdings von den „Kleinlandwirten” einhellig für unannehmbar erklärt. Während die Gruppe um József Torgyán weiterhin das Prinzip der Entschädigung grundsätzlich ablehnte und sogar symbolische Bodenbesetzungen organisierte, zeigten sich die gemäßigten Anhänger von Parteichef Nagy weithin verhandlungsbereit. Für sie sei das vorgeschlagene Entschädigungsprinzip dann akzeptabel, wenn auch auf diese Weise die ehemaligen Eigentümer ihren Boden in vollem Umfang oder zumindest einen gleichwertigen Ersatzboden erwerben könnten.

Nach heftigen koalitionsinternen Auseinandersetzungen, die sich über Monate ergebnislos hinzogen und in deren Mittelpunkt der degressive Entschädigungsschlüssel stand, gelang den Regierungsparteien Mitte März 1991 doch noch der Durchbruch. Die „Kleinlandwirte” setzten durch, dass bei enteigneter landwirtschaftlicher Nutzfläche die Obergrenze der jetzt vorgesehenen vollständigen Entschädigung nicht wie bei den übrigen Immobilien bei einem Schadenswert von 200.000 Forint liegen sollte, sondern bei 1000 Goldkronen bzw. umgerechnet 1 Mill. Forint. Damit hatten es die „Gemäßigten” in der FKGP geschafft, ihre Hauptforderung nach vollständiger „Boden-Entschädigung” fast ganz durchzusetzen, denn es wären nun noch immer mehr als 99 Prozent aller ehemaligen Grundeigentümer voll entschädigt worden. Mit dieser Einigung hatte die Koalition es trotz des weiter anhaltenden Widerstandes der „radikalen Kleinlandwirte” endlich geschafft, sich über die Grundprinzipien des Entschädigungsgesetzes zu einigen und gleichzeitig auch die Grundlage für eine Bodenreform zu schaffen. Die an dem Zustandekommen der Vereinbarung beteiligten Kräfte sahen sich nun noch zwei grundlegenden Problemen gegenübergestellt. Zum einen musste die Annahme des Gesetzes im Parlament, gegen den zu erwartenden Widerstand Torgyáns und des „radikalen” Flügels der FKGP durchgesetzt werden. Zum anderen war noch offen, wie das Verfassungsgericht im Falle einer Anrufung auf das Gesetz reagieren würde.

Aufgrund des zunehmenden Radikalismus Torgyáns, der in einer Rede im März sogar die Legitimität von Regierung und Parlament in Abrede gestellt hatte und seine eigene Machtübernahme empfohlen hatte, gingen die „gemäßigten Kleinlandwirte” zum Angriff auf den Führer des „radikalen” Flügels über und setzten Torgyán als Fraktionschef ab, was ihn kurzzeitig ins politische Abseits manövrierte.

Nachdem das Verfassungsgericht, an das sich der SZDSZ am 8. April mit mehreren Fragen bezüglich des Entschädigungsgesetzes gewandt hatte, die Entscheidung mit der Begründung vertagte, nicht in den laufenden Gesetzgebungsprozess eingreifen zu wollen, konnte es am 24. April im Parlament zur Abstimmung über die Gesetzesvorlage kommen. Hierbei wurde diese mit etwas mehr als 60 Prozent der Stimmen angenommen. Die Furcht vor einer Blockade des Gesetzes durch die „Radikalen” in der FKGP hatte sich als unbegründet erwiesen, da lediglich vier FKGP-Abgeordnete, darunter József Torgyán, nicht an der Abstimmung teilnahmen und alle anderen mit „Ja” stimmten.

Nun wandte sich allerdings Staatspräsident Göncz mit vier Fragen bezüglich des Entschädigungs-Gesetzes an das Verfassungsgericht. Die für den Erhalt des Koalitionskompromisses entscheidende dritte Frage beschäftigte sich mit der unterschiedlichen Behandlung verschiedener Vermögensgegenstände. In seiner am 29. Mai 1991 verkündeten Entscheidung bewertete das Gericht mehrere Einzelaspekte des Entschädigungsgesetzes als verfassungswidrig. Darunter fiel auch der mit der dritten Frage angesprochene Punkt. Das Gericht erklärte diesbezüglich den Unterschied für verfassungswidrig, der in Hinblick auf die Obergrenze der hundertprozentigen Entschädigung zwischen dem landwirtschaftlichen Grundeigentum und den übrigen Immobilien bestehe. Desweiteren verstoße auch diejenige Unterscheidung gegen die Verfassung, die sich aus der unterschiedlichen Berechnung der Entschädigung ergibt und im Falle des Bodeneigentums zu einer vollständigen Wiederherstellung „in natura” führen könne, während bei der sonstigen Verwendung des „Entschädigung-Gutscheins” nur eine geringe Teilentschädigung erreichbar sei. Das Verfassungsgericht kritisierte also in mehreren Fällen die „Besserbehandlung” der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Es bestätigte damit im Grunde nochmals seine bereits im Oktober 1990 in ähnlichem Zusammenhang getroffene Entscheidung und beanstandete genau jene Bestimmungen, die eingebaut worden waren, um den Gesetzesentwurf für die „gemäßigten Kleinlandwirte” annehmbar zu machen. Damit war die Frage der Entschädigung bzw. die „Bodenfrage” weiterhin offen und es wurde eine nochmalige Verhandlung des Gesetzes notwendig.

Nach Abflauen der Erregung, die das Urteil auch bei den „Gemäßigten” hervorgerufen hatte, gelang es allerdings trotz heftiger Kontroversen relativ schnell, sich über eine Modifizierung des Entschädigungs-Gesetzes zu einigen: Zum einen wurde die Obergrenze der 100-prozentigen Entschädigung, deren Unterschiedlichkeit bemängelt worden war, bei beiden Eigentumsgruppen auf 200.000 Forint festgesetzt. Zum anderen begegnete man dem Einwand, es sei nicht zulässig, dass es bei der „Bodenentschädigung” praktisch zu einer vollständigen Wiederherstellung des Eigentums „in natura” kommen könne, sonst aber nur eine Teilentschädigung geleistet würde, einfach damit, dass man ein direktes Einlösen der Gutscheine in Boden mittels Zwischenschaltung der Institution der Versteigerung verhinderte. Nun sollte der von den jeweiligen Produktionsgenossenschaften bzw. Staatsgütern zur Verfügung gestellte Boden mittels des „Gutscheins” ersteigert werden. Mit diesen Modifizierungen hatte man die Einwände des Verfassungsgerichts formal berücksichtigt, wenn auch in der Praxis weiterhin große Unterschiede bei der Entschädigung zwischen den beiden Eigentumsgruppen bestehen blieben. Um diese Gesetzesmodifikationen für die „gemäßigten Kleinlandwirte” akzeptabel zu machen, griff man darüber hinaus zu einem einfachen Trick. Die an der Versteigerung von landwirtschaftlicher Nutzfläche teilnehmenden Personen konnten nämlich eine sogenannte „landwirtschaftliche Unternehmenssubvention” in Anspruch nehmen. Diese Unterstützung sollte die Differenz zwischen dem festgestellten Schaden und der tatsächlichen Entschädigungssumme bis zu einer Gesamtsumme von einer Million Forint ausgleichen, so dass es bis zu dieser Schadenssumme praktisch zu einer vollständigen Entschädigung kommen konnte. Der Erhalt der Subvention wurde allerdings an die Bedingungen gebunden, dass sich der Empfänger als „Unternehmer in der Landwirtschaft” eintragen ließ und sich verpflichtete, den erhaltenen Boden mindestens fünf Jahre lang selbst zu bebauen. Obwohl sich auch bei den „gemäßigten Kleinlandwirten” Widerstand insbesondere gegen die Institution der Versteigerung regte, wurde der modifizierte Gesetzesentwurf Ende Juni 1991 vom Parlament angenommen, wenngleich 14 „Kleinlandwirte” nicht für dessen Annahme stimmten.

József Torgyán und die Kleinlandwirte-Partei

Die Diskussion und Annahme des Entschädigungs-Gesetzes, das nur noch wenig vom ursprünglichen Wahlversprechen der FKGP widerspiegelte, hatte József Torgyán einen fruchtbaren Nährboden für seine Demagogie und günstige Voraussetzungen für seine Machtübernahme in der FKGP geschaffen. Im Sommer 1991 ließ sich der zielstrebige Aufstieg Torgyáns in der Kleinlandwirte-Bewegung schließlich nicht mehr aufhalten. Die durch das Scheitern der Reprivatisierung radikalisierte Parteibasis wählte den Budapester Rechtsanwalt am 29. Juni mit mehr als Zweidrittel-Mehrheit zum neuen Parteivorsitzenden. Dadurch gelangte die wohl auffälligste und umstrittenste Persönlichkeit des ungarischen öffentlichen Lebens an die Spitze der FKGP, die über sich selbst in einem Interview einmal ausführte: „Ohne Anmaßung kann ich behaupten, dass ich ein vielseitiges Talent mit riesigem Sachverstand, ganz ausgezeichneter Fähigkeit zur Diskussion und unglaublichem Gedächtnis bin, und ich glaube, solche rednerischen Begabungen zu besitzen, über die gegenwärtig niemand im Lande verfügt.”

Gleich nach der Wahl Torgyáns kam es zu einer grundlegenden Umbesetzung der Führungspositionen in der Partei, die gänzlich in die Hände von Torgyán-Sympathisanten fielen. Darüber hinaus kündigte er den Anbruch „neuer Zeiten” in der Kleinlandwirte-Partei an: Erstens sollte der FKGP nun eine „angemessene” Stellung innerhalb der Koalition verschafft werden, wozu neue Koalitionsverhandlungen dienen sollten. Zweitens beabsichtigte er, einen modernen Parteiapparat aufzubauen und die Disziplin in der Partei herzustellen, was sich insbesondere auf seine „gemäßigten” Gegner in der Fraktion und den Ministerien bezog. Darüber hinaus kündigte er u.a. an, die gesellschaftliche Basis der Partei durch Gewinnung der Arbeiterschaft und des Unternehmertums (!) erweitern zu wollen, ein neues, den „Erfordernissen des dritten Jahrtausends” entsprechendes Parteiprogramm auszuarbeiten sowie u.a. eine „Kleinlandwirte-Zeitung” und eine Agrarbank ins Leben zu rufen.

Das tatsächliche politische Verhalten József Torgyáns zeichnete sich im Sommer und Herbst 1991 durch die Einnahme einer widersprüchlichen „Doppelrolle” aus. Während er sich in der „großen Politik” plötzlich ungewohnt moderat zeigte, war sein Auftreten auf verschiedenen Provinzveranstaltungen von seinem gewohnten extremistisch-populistischen Stil gekennzeichnet. Dabei griff er nicht nur auf seinen „altbewährten” Antikommunismus zurück, sondern attackierte auch die Politik des Koalitionspartners scharf und bezeichnete die FKGP als einzige wirkliche „Oppositionspartei” (!) in Ungarn. Bezüglich der Wirtschaftspolitik Ministerpräsident Antalls äußerte er sich, an die weit verbreiteten wirtschaftlichen Ängste der Bevölkerung appellierend, z.B. folgendermaßen: „Uns droht der Schrecken der Schuldenknechtschaft. Bald wird das Land in fremde Hände gelangen, weil man sehen muss, dass vor unseren Augen unsere Güter für Glasperlen verkauft werden. Wir stöhnen noch unter dem Fluch des politischen Trianon und schon ist ein neuerliches, ein wirtschaftliches Trianon in Vorbereitung.”

Eine Schlüsselfrage für den zukünftigen politischen Erfolg Torgyáns bildete die Entwicklung des innerparteilichen Verhältnisses zwischen der „radikalen” Parteiführung und den „Gemäßigten”, das aufgrund seines verbalen Radikalismus und des Versuchs, die größtenteils „gemäßigte” FKGP-Fraktion, die Minister und Staatssekretäre „an die Leine” zu nehmen, äußerst verhärtet war. Nach einer kurzen Entspannungsphase kam es Ende Oktober 1991 zum totalen Bruch zwischen den „Gemäßigten” und den „Radikalen”, als Torgyán die Fraktion mittels Parteiausschlüssen zu disziplinieren versuchte. Daraufhin schlossen sich die 33 „gemäßigten” Abgeordneten zur sogenannten „Geschichtlichen Plattform” als einer sich parteiintern formierenden Opposition zusammen. Im Zuge der nachfolgenden Auseinandersetzungen sprachen sich beide Flügel gegenseitig das Recht ab, die Kleinlandwirte-Partei offiziell zu vertreten. Schließlich schloss Torgyán sämtliche „Gemäßigte” in Parlament und Regierung, so auch den höchsten noch lebenden Funktionär der „alten” FKGP, Vince Vörös, aus der Partei aus.

Engstens mit dieser parteiinternen Entwicklung ist die Tatsache verbunden, dass Torgyán auch in Hinblick auf die „Aufwertung” der FKGP in der Koalition keine Fortschritte erzielen konnte. Es gelang ihm nicht, die von ihm gewünschten personellen Änderungen in den Ministerien gegenüber Ministerpräsident Antall zu erzwingen, woraufhin er den Beschluss fasste, „seine” Minister und Staatssekretäre zurückzuziehen. Als diese allerdings keine Bereitschaft zeigten, diesem Beschluss nachzukommen und sich auch der „gemäßigte” Großteil der Fraktion hinter sie stellte, blieb Torgyán nichts weiter übrig, als eine „Politik des lauten Säbelrasselns” zu verfolgen und offen mit der Beendigung der Koalition zu drohen. Da Torgyán allerdings aufgrund des völligen Bruchs mit den 33 „gemäßigten” Abgeordneten über keine wirksamen parlamentarischen Druckmittel verfügte, waren seine Ankündigungen letztlich nichts weiter als leere Drohungen. Der am 21. Februar 1992 von der FKGP-Führung tatsächlich verkündete Austritt aus der Regierungskoalition musste ebenfalls ohne konkrete Auswirkungen bleiben, denn die „gemäßigten” Minister, Staatssekretäre und Abgeordneten der FKGP sowie auch Ministerpräsident Antall befürworteten weiterhin die Aufrechterhaltung der Regierungs- und Koalitionsverhältnisse.

Die Situation innerhalb der Kleinlandwirte-Partei war damit im Frühjahr 1992 durch eine de-facto Parteispaltung gekennzeichnet. Die „Radikalen” um József Torgyán, die inhaltlich wie personell mit der Kleinlandwirte-Tradition gebrochen haben, konnten sich zwar auf den Apparat der Budapester Landesführung der FKGP und den Großteil der Parteimitglieder stützen, sie können aber kaum über ihre offensichtliche Machtlosigkeit gegenüber den „Gemäßigten” und den „Koalitionspartnern”, die bisherige Ergebnislosigkeit ihrer angekündigten Maßnahmen sowie ihre offenbare programmatische „Ideenlosigkeit” hinwegtäuschen. Die „Gemäßigten” befanden sich demgegenüber in einer Position, die sie zu einem entscheidenden Faktor in der Koalition macht und es ihnen erlaubt, sich aktiv an der Politikgestaltung zu beteiligen. Allerdings verfügten die „Gemäßigten” bei der Parteibasis über wesentlich weniger Rückhalt und schwebten somit gewissermaßen in der Luft. Gleichzeitig konnten sie sich gegenüber dem MDF, das starken Einfluss auf viele „Gemäßigte” ausübte, politisch kaum profilieren.

Der Versuch, die historische Kleinlandwirte-Bewegung „wiederzubeleben” kann damit bereits Anfang 1992 eindeutig als gescheitert angesehen werden, auch wenn von Seiten der „Gemäßigten” nun Versuche unternommen werden, die Kleinlandwirte-Bewegung aus der Sackgasse zu führen. Es ist der Partei innerhalb von vier Jahren nicht gelungen, Ordnung in ihren eigenen Reihen zu schaffen. Als letztliche Konsequenz ihres absurden Wahlversprechens kam es schließlich gar zur kaum behebbaren Parteispaltung. Desweiteren wurde die Partei auch den programmatisch-ideellen Anforderungen des Systemwechsels nicht gerecht. Die FKGP verstand es nicht, sich in die Tradition ihrer Vorgängerorganisation zu stellen und ein modernes, wirtschaftlich und parteisoziologisch tragfähiges Konzept für eine auf bäuerlichem Privateigentum basierende Landwirtschaft auszuarbeiten.

 

Der vorliegende Aufsatz stellt das komprimierte Ergebnis einer Arbeit dar, die der Verfasser als Stipendiat des Europa Instituts Budapest 1991/92 anfertigte.