1088 Budapest, Rákóczi út 5.; Tel: (36 1) 381 23 47; E-mail: Ez az e-mail-cím a szpemrobotok elleni védelem alatt áll. Megtekintéséhez engedélyeznie kell a JavaScript használatát.
Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 14:99–115.

PETER WIESINGER

Die sprachpolitische Positionierung der deutschen Sprache
und des DaF/DaZ-Unterrichts in der Welt der Mehrsprachigkeit

 

Einleitung

Wenn man das mehrsprachige Europa mit seinen romanischen, germanischen, slawischen, baltischen und finno-ugrischen Sprachen näher betrachtet, so nimmt das Deutsche eine zentrale Stellung ein: seiner Lage nach befindet sich das Deutsche in der Mitte Europas. Zugleich bildet es in Europa die größte Sprachgemeinschaft mit rund 95 Millionen Sprechern. Das Deutsche ist in 3 Staaten die Staatssprache: in Deutschland, Österreich und dem kleinen Liechtenstein. Es gilt ferner neben anderen Sprachen in Teilgebieten von Belgien, in Luxemburg, sehr eingeschränkt in Lothringen und Elsass in Frankreich, im größten Teil der Schweiz und in Südtirol in Italien. Ferner gibt es bodenständige deutschsprachige Minderheiten als Sprachinseln in östlichen mitteleuropäischen Ländern und da besonders in Ungarn und in Rumänien.

Hinsichtlich einer sprachpolitischen Betrachtung des Deutschen und seiner Vermittlung im Fremdsprachenunterricht ist vorwegzunehmen, dass es dabei nur um die Geltung und Positionierung der Standardsprache als Realisierung der Schriftsprache gehen kann. Sie bildet auch den Gegenstand des Fremdsprachenunterrichts. In dieser Hinsicht wird teilweise auch die Bezeichnung Hochsprache verwendet. Ausgeklammert bleiben müssen daher weitgehend die Dialekte und die Umgangssprachen, obwohl sie als Formen der Alltagssprache in großen Gebieten des deutschen Sprachraums nach wie vor ihren Platz haben und als solche nicht ohne Einfluss auf die Standard- und Schriftsprache sind.

Im Folgenden näher zu behandeln sind 3 Fragenkomplexe:

1. Wie ist die deutsche Schrift- und Standardsprache, die sich in erster Linie auf Deutschland, Österreich und die Schweiz verteilt, zu beurteilen, und wie gestalten sich die verbindlichen Normen?

2. Welche Position nimmt die deutsche Sprache als Amtssprache innerhalb der Europäischen Union ein? Welche Rolle kommt ihr als Sprache der Wissenschaft und in der Wirtschaft zu? Inwieweit ist und kann das Deutsche als Großsprache und auf Grund seiner zentralen Lage in Mitteleuropa eine internationale Verkehrssprache gegenüber den kleineren Nachbarsprachen bilden?

3. Bezüglich des Unterrichts von Deutsch als Fremdsprache (DaF) und Deutsch als Zweitsprache (DaZ) ist auf Grund der beiden vorhergehenden Fragenkomplexe zu fragen nach den angestrebten Zielen, nach den zu unterrichtenden Sprachnormen und den weiteren Unterrichtsaufgaben.

 

1. Die Beurteilung der deutschen Schrift- und Standardsprache

In der germanistischen Sprachwissenschaft Deutschlands, Österreichs und der Schweiz hat sich in den letzten 15 Jahren das Verständnis der deutschen Schrift- und Standardsprache gegenüber früher entscheidend gewandelt. Es muss aber leider auch festgestellt werden, dass der wissenschaftliche Wandel im öffentlichen Bewusstsein vor allem in Deutschland noch wenig Fuß gefasst und sich von daher auch noch nicht allgemein im Fremdsprachenunterricht etabliert hat. Beides muss besonders aus der Sicht Österreichs und der Schweiz beklagt und eingemahnt werden. Denn es gibt in beiden Ländern nicht nur zusammen rund 12 Millionen deutsche Sprecher, sondern auch eigenständige Kulturen und vor allem auch Literaturen, die mit den Verhältnissen in Deutschland weder gleichgesetzt noch diesen untergeordnet werden können. Wie aber verhält es sich mit der Beurteilung der deutschen Sprache dieser Länder im Verhältnis zu Deutschland?1

Das bis um 1985 allgemein geltende Modell der deutschen Sprache war ein unizentrisches. Vor allem der deutsche Germanist Hugo Moser hat es vertreten.2 Im Anschluss an das politische Alleinvertretungsrecht der Bundesrepublik Deutschland, wie es seit der Ära Konrad Adenauers galt, sah man im Deutschen der Bundesrepublik die verbindliche Hauptvarietät und in der nicht zu leugnenden, aber politisch von der Bundesrepublik nicht anerkannten Deutschen Demokratischen Republik eine Nebenvarietät. Obwohl sich Hugo Moser seit den 60er Jahren um die Erfassung der Eigenheiten der deutschen Sprache in den westlichen und südlichen Randgebieten von Belgien bis Österreich bemühte,3 betrachtete er die sprachlichen Besonderheiten vor allem Österreichs und der Schweiz zwar als gültige Erscheinungen dieser Länder, sprach ihnen aber quasi als Randdeutsch die Verbindlichkeit für die Norm der deutschen Schriftsprache ab. Gegenüber diesem gestuften alleinigen Normanspruch für die beiden deutschen Staaten folgte der westdeutsche Mannheimer Rechtschreib-Duden als allgemein verbindliches orthographisches Regelwerk jedoch der Praxis. Schon in der Vorkriegszeit hatte er österreichische und Schweizer Eigenheiten verzeichnet und nahm seit 1969 vor allem weitere österreichische Spracheigenheiten auf,4 nachdem das Mannheimer Bibliographische Institut das erstmals 1969 erschienene Nachschlagewerk Wie sagt man in Österreich? als Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten von Jakob Ebner initiiert hatte.5 Auch der ostdeutsche Leipziger Rechtschreib-Duden, der in seinen Bedeutungsangaben bei gesellschaftspolitischen Termini der kommunistisch-marxistischen Ideologie folgte, nahm ebenfalls Austriazismen, doch in geringerem Umfang als das Mannheimer Werk auf.6

Diese dennoch herrschende unizentrische Auffassung einer in erster Linie in der Bundesrepublik Deutschland geltenden und allgemein verbindlichen deutschen Sprachnorm änderte sich nun ab 1984. Damals brachte der australische Germanist österreichischer Abstammung Michael Clyne sein Buch Language and Society in the German-Speaking Countries heraus.7 Es wurde durch eine Diskussion über die Beurteilung der deutschen Sprache am Internationalen Deutschlehrer-Kongress 1986 in Bern, an der germanistische Sprachwissenschaftler aus den vier deutschsprachigen Staaten teilnahmen, rasch bekannt.8 Clyne vertritt darin ein plurizentrisches Modell. Danach bildet die in allen deutschsprachigen Ländern geltende deutsche Sprache als Schrift- und Standardsprache keine Einheitssprache. Vielmehr gibt es nationale Varietäten, indem die einzelnen Länder jeweils ein Sprachzentrum bilden. Die einzelnen nationalen Varietäten aber sind hinsichtlich der Norm gleichwertig, und keine dieser Varietäten kann für sich beanspruchen, die alleinige, allseits verbindliche Norm darzustellen.

Obwohl die Deutsche Demokratische Republik in diesem Sinn 1987 eine Darstellung der ihr eigenen Sprachformen herausbrachte,9 endete ihre Existenz bereits 1989 und 1991 erfolgte die deutsche Wiedervereinigung. Damit fanden die kommunistisch-marxistische Begriffsinterpretation, der entsprechende politische Wortschatz und ein Großteil des neu entstandenen Sachwortschatzes ein rasches Ende. Clyne reduzierte daher in der Neufassung seines Buches von 1995 als The German language in a changing Europe die Anzahl der nationalen Varietäten.10 In der Schweiz fanden die von Clyne aufgerollten Fragen wenig Echo, zumal dort eine mediale Diglossie gilt. Sie besteht darin, dass die mündliche Kommunikation in fast allen Situationen im Dialekt erfolgt, während die deutsche Schriftsprache in erster Linie ein schriftliches Medium ist und das, wie man sagt, Schweizer Hochdeutsch nur sehr geringe, eingeschränkte mündliche Anwendung findet. Dieselben Verhältnisse herrschen auch im benachbarten Liechtenstein.11 Dagegen entwickelte sich in Österreich innerhalb der germanistischen Sprachwissenschaft eine sehr lebhafte Diskussion, die schließlich zu drei Modellen führte.12 Ich will hier auf diese Diskussion im Einzelnen nicht näher eingehen und dazu nur Folgendes sagen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Wiedererrichtung Österreichs in der Zweiten Republik als souveräner Staat nach der vorübergehenden Auflösung Österreichs und seiner Integrierung in das nationalsozialistische Deutsche Reich von 1938–1945 wurde von der politischen Führung des Landes in deutlicher ideologischer Abgrenzung gegenüber Deutschland zielstrebig ein österreichisches Nationalbewusstsein entwickelt.13 Dabei spielte auch die Sprache eine Rolle, die seit 1951 im Österreichischen Wörterbuch für schulische und öffentliche Zwecke in ihren Grundzügen kodifiziert wurde und besonders die schrift- und standardsprachlichen Austriazismen festhielt.14 Heute versteht sich die Bevölkerung zu über 90 Prozent als eine eigenständige österreichische Nation. Zwar ist die deutsche Sprache seit 1920 in der österreichischen Verfassung als Staatssprache festgehalten, aber nach Umfragen von 1986 und 1991 empfindet gut die Hälfte die deutsche Sprache in Österreich als eigene Form.15

Die gebietsweisen Unterschiede der deutschen Schrift- und Standardsprache sind nicht zu leugnen. Der Großteil der Varianten deckt sich aber nicht mit den einzelnen Staatsgebieten. Es sind diesbezüglich nur die amtssprachlichen Bezeichnungen und ein Teil verkehrssprachlicher Ausdrücke. Von diskreten nationalen Varietäten als jeweilige Einheit von Sprache, Staatsgebiet und Nation im Sinne von Clyne kann sicher nicht die Rede sein.16 Andererseits ist aufs Ganze nicht zu leugnen, dass es trotz grenzüberschreitender und grenzunterschreitender sprachlicher Spezifika ein durchschnittliches charakteristisches Sprachgepräge in den einzelnen Ländern gibt. Man kann daher in Bezug auf das österreichische Deutsch sagen, dass es durch die Summe der Eigenheiten entsteht und dass sich die Varietäten durch die Varianten als differentia specifica konstituieren. Varianten aber gibt es auf allen sprachlichen Ebenen, der phonetisch-phonologischen, der morphologischen, der syntaktischen und der lexikalisch-semantischen Ebene. Ebenso bestehen auch gebietsweise pragmatische Unterschiede. Diese durch Varianten entstehenden Varietäten müssen zwar in ihren gebietsweisen Verbreitungen anerkannt werden, gefährden aber durch ihre relativ geringe Zahl nicht die Verbindlichkeit einer gemeinsamen deutschen Schrift- und Standardsprache in allen deutschsprachigen Gebieten. Auf dem Gebiet des Wortschatzes lassen sich die Varianten am leichtesten feststellen. Jakob Ebner verzeichnet in der 3. Auflage seiner Austriazismensammlung von 1998 nach eigenen Angaben rund 7.000 Ausdrücke.17 Gemessen am durchschnittlichen deutschen Wortbestand, wie ihn das Große Duden-Wörterbuch und das Wörterbuch von Brockhaus-Wahrig mit über 220.000 Einträgen verzeichnen,18 machen die österreichischen lexikalisch-semantischen Eigenheiten rund 3 Prozent aus. Anders ausgedrückt heißt das, dass auf einen Text von 100 Wörtern durchschnittlich 3 Austriazismen entfallen. Zwar hängt das tatsächliche Vorkommen wegen der unterschiedlichen Verteilungen der Austriazismen auf einzelne Sachgebiete von der jeweiligen Textsorte und ihrem Inhalt ab,19 aber die grundlegende wechselseitige Verständlichkeit bleibt erhalten.

Unser erster Fragenkomplex nach der Gestaltung der in den deutschsprachigen Ländern verbindlichen deutschen Schrift- und Standardsprache ergibt also hinsichtlich der Norm als Resultat: die deutsche Schrift- und Standardsprache ist keine Einheitssprache, sondern verfügt über Varianten, die Varietäten konstituieren. Sie sind bezüglich der drei Hauptländer Deutschland, Österreich und Schweiz zwar keine streng gegeneinander abgegrenzten nationalen Varietäten, weil es gebietsweise Unterschiede auf Grund der verschiedenen grenzüber- und grenzunterschreitenden Verbreitung der Varianten gibt. Aber diese in den einzelnen Gebieten gebrauchten Varianten müssen hinsichtlich ihrer Gültigkeit sehr wohl anerkannt werden und bilden Bestandteile der Norm. Der gebietsweise und besonders länderweise Gebrauch der durch die Varianten entstehenden Varietäten ist als gleichwertig anzuerkennen. Somit ist das Deutsche in Deutschland und da weder das Norddeutsche noch das Süddeutsche und ebenso wenig das Deutsche in Österreich und das Schweizer Hochdeutsch besser oder schlechter, sondern wir haben es in normativer Hinsicht mit gleichwertigen, etwas unterschiedlichen Ausformungen der deutschen Schrift- und Standardsprache als Varietäten zu tun.

Abgesehen von der österreichischen Forderung nach Anerkennung seiner Varietät, die sich in dem 1951 geschaffenen und seit 1979 weiterentwickelten Österreichischen Wörterbuch niederschlägt und 1994 in den bei den Beitrittsverhandlungen Österreichs zur EU anerkannten 22 österreichischen Lebensmittelbezeichnungen Ausdruck fand,20 macht sich in den deutschsprachigen Ländern aber auch zunehmend eine Lockerung des sprachlichen Normbewusstseins und eine Destabilisierung hochsprachlicher Normen bemerkbar. Nicht nur, dass in der Sprachwissenschaft der frühere Begriff Hochsprache durch Standardsprache ersetzt wurde, zeigt sich im ober- und mitteldeutschen Gebiet mit Dialekten deren Einwirkung auf den standardsprachlichen Gebrauch. Zwar sind die lokalen Basisdialekte bei der jüngeren Generation zugunsten regionaler Formen rückläufig, aber die regionalen Umgangssprachen mit dialektal beeinflusstem Lautinventar und bodenständigem mündlichem Wortschatz bilden zunehmend die neue Form der Standardsprache, während früher eine stärkere Orientierung an der Schriftsprache üblich war.21

 

2. Die europäische und internationale Positionierung der deutschen Sprache

Europa befindet sich heute auf dem Weg der Integration in die Europäische Union (EU) als eine wirtschaftliche und politische Staatengemeinschaft. In Bezug auf die deutschsprachigen Länder gehörte die Bundesrepublik Deutschland seit den Vorgängerorganisationen, nämlich der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit Frankreich zu den Gründungsmitgliedern. Österreich stand zunächst auf der Seite der Gegenorganisation, der Europäischen Freihandelsorganisation (EFTA), die sich inzwischen aufgelöst hat. Mit Schweden und Finnland ist Österreich 1995 der EU beigetreten, während die Schweiz als weiteres deutschsprachiges Land außerhalb der EU steht. Durch die deutsche Wiedervereinigung von 1991 und den Beitritt Österreichs gehören nunmehr rund 90 Millionen Deutschsprachige der EU an, so dass Deutsch hinsichtlich der Muttersprache die erste Stelle innerhalb der Sprachen der EU einnimmt. Dieser Spitzenstellung der deutschen Sprache nach der Anzahl ihrer Sprecher entspricht aber nicht die Positionierung des Deutschen als Amtssprache der EU. Vielmehr sind auf Grund der anfänglichen Verhältnisse die Amtssprachen der EU in ihren Institutionen weiterhin Englisch und Französisch. Zwar erkennt die EU durchaus die europäische Sprachenvielfalt an und bietet Übersetzungen ihrer Schriftsätze an, beschränkt sich aber in der Praxis weitestgehend eben auf Englisch und Französisch und räumt dann auf Grund des halbjährigen Wechsels im Ratsvorsitz vorübergehend der Sprache des den Ratsvorsitz stellenden Landes eine Position ein. Deutschland hat gegen diese den demokratischen Grundsätzen widersprechende Vorgangsweise erst seit 1998 Einspruch erhoben, als die langjährige CDU/FDP-Regierung unter Helmut Kohl mit ihrer uneingeschränkten Anerkennung französischer Vorgaben durch die SPD/Grüne-Regierung unter Gerhard Schröder abgelöst wurde und sich die bisherige Achse Paris – Berlin zu lockern begann. Die deutsche Forderung, die deutsche Sprache neben Englisch und Französisch bei EU-Treffen als weitere Verhandlungssprache zuzulassen, war 1998 Finnland als Land des Ratsvorsitzes nicht bereit anzuerkennen, worauf Deutschland verschiedene EU-Treffen boykottierte. Die damalige, von den Sozialdemokraten angeführte österreichische Regierung schloss sich den Protesten Deutschlands an, und selbst Frankreich unterstützte die deutschen Sprachforderungen. Das rief damals den Unwillen Italiens und Spaniens auf den Plan, so dass Finnland schließlich den Kompromiss fand, sechs Sprachen, nämlich neben Englisch, Französisch und Finnisch auch Deutsch, Italienisch und Spanisch zuzulassen, was auf die Dauer keine Lösung war. Als 1999 Österreich Ratsvorsitzender war, beruhigte sich die Lage, da ja vorübergehend Deutsch als Amtssprache zugelassen war. Wegen der Sanktionen, die von der EU von Februar bis September 2000 gegen die neue, aus Volkspartei und Freiheitlicher Partei (ÖVP/FPÖ) gebildete österreichische Regierung verhängt wurden, verzichtete Österreich auf die mit Deutschland gemeinsamen Boykottmaßnahmen. Es schließt sich diesen auch jetzt unter dem schwedischen Ratsvorsitz nicht an, während Deutschland seine Maßnahmen auf der unteren Ebene fortsetzt, ohne allerdings damit größeres Echo zu erzielen.

Der 10. Internationale Germanistenkongress hat im September 2000 in Wien eine diesbezügliche Resolution zur Verwendung von Deutsch als weiterer Arbeitssprache in der EU gefasst und diese an die deutsche und die österreichische Regierung sowie an den Vorsitzenden der EU gesandt. Sie wurde zwar überall positiv aufgenommen, ohne dass sich jedoch in der Praxis Änderungen abzeichnen würden. Leider war das Presse-Echo auf die germanistische Aktion sehr gering, obwohl die österreichische und die deutsche Presseagentur die Meldung brachten. Ähnlich gering war leider auch der Erfolg der zweiten, an die Wirtschaftsinstitutionen in Deutschland und Österreich gerichteten Resolution, im internationalen Wirtschaftsverkehr dieser deutschsprachigen Länder Deutschkenntnisse als Qualitätsmerkmal anzuerkennen.22

Was die heutige Positionierung des Deutschen als Sprache der Wissenschaft und der Wirtschaft betrifft, so hat Ulrich Ammon am Ende der 80er Jahre umfängliche Recherchen durchgeführt und auch die Entwicklungstendenzen seit den 60er Jahren beobachtet.23 An der ungünstigen Lage hat sich auch in den 90er Jahren nichts geändert.

Als Sprache der Wissenschaften dominiert, mit je nach Fachbereich unterschiedlicher Stärke, das Englische. Es beherrscht vor allem die internationalen naturwissenschaftlichen Publikationen der Technik und der Medizin, der Psychologie sowie der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Hier liegt das Deutsche meist am 3. oder 4. Platz nach Englisch und Russisch in Konkurrenz mit dem Japanischen. Dabei ist das Englische mit einem hohen Prozentsatz zwischen rund 65 und 85 Prozent vertreten, während das Deutsche in großem Abstand bloß über den geringen Anteil von 2 bis 6 Prozent verfügt. In der Wirtschaft liegen die Anteile von Deutsch wesentlich höher, besonders in Europa dient Deutsch als Verhandlungs- und vielfach auch als schriftliche Vertragssprache neben Englisch und Französisch. Es wird also vor allem in den Natur-, Sozial- und Wirtschaftswissenschaften sowie in der Medizin und Psychologie auch von den deutschsprachigen Wissenschaftlern vorwiegend in Englisch publiziert, wie auf diesen Gebieten auch in den deutschsprachigen Ländern das Englische vorwiegend die Sprache internationaler Fachtagungen ist. Zu Recht wird daher zunehmend beklagt, dass die deutsche Wissenschaftssprache dieser Bereiche zu verkümmern droht, weil keine mit den sachlichen Weiterentwicklungen Schritt haltende deutsche fachsprachliche Weiterentwicklung erfolgt und vielfach neu geprägte englische Terminologien ins Deutsche übernommen werden.

Anders liegen die Verhältnisse in den Geisteswissenschaften. Hier werden trotz Internationalität der Forschung die landessprachlichen Philologien wie Germanistik, Anglistik, Romanistik, Slawistik usw. in erster Linie in den betreffenden Ländern betrieben und das in den entsprechenden Landessprachen. Hingegen wird in Zeitschriften- und Buchpublikationen des deutschen Sprachraums auch in der Anglistik, Romanistik und Slawistik weitestgehend das Deutsche bevorzugt. Unterschiedlich verhält sich hier die Auslandsgermanistik. So wird in West- und Südeuropa und in Amerika vielfach die jeweilige Landessprache verwendet, so dass z. B. in Frankreich ein Großteil germanistischer Publikationen auf Französisch und in Amerika auf Englisch erscheint. Dagegen wählt das östliche und südöstliche Mitteleuropa und Nordeuropa meist die deutsche Sprache, um, wie auch teilweise die japanische Germanistik, der Gefahr zu entgehen, bloß von den Fachangehörigen des eigenen Landes gelesen und rezipiert zu werden. Auch die landesbezogenen Fächer Geschichte, Geographie, Kunst- und Musikwissenschaft verfahren hauptsächlich in einer der Germanistik vergleichbaren Weise. Dadurch wahrt sich das Deutsche in den Geisteswissenschaften vor allem im deutschsprachigen Raum einen sehr guten und auch im internationalen Vergleich noch einen respektablen Platz und entwickelt auch seine jeweiligen Fachsprachen weiter.

Über den unterschiedlichen Gebrauch des Deutschen als Sprache des Wirtschaftsverkehrs und der Wissenschaften hinaus ist aber auch die Frage zu stellen, inwieweit das Deutsche auf Grund seiner zentralen geographischen Lage und der größten Anzahl seiner muttersprachlichen Angehörigen gegenüber den kleineren Nachbarsprachen heute und in Zukunft eine mitteleuropäische Verkehrssprache bilden kann.

Hier muss zunächst ein wenig geschichtlich ausgeholt werden. Bis 1918 bestand im südlichen und südöstlichen Mitteleuropa die habsburgische Österreichisch-Ungarische Monarchie mit ihren Kronländern, die sich über Böhmen und Mähren bis Galizien und die Bukowina in den Nordosten, bis in den zu Ungarn gehörenden Karpatenbogen nach Siebenbürgen in den Osten, über Kroatien bis Bosnien und in die Herzegowina in den Südosten und bis an den Gardasee und bis an die Adria bei Triest in den oberitalienischen Raum nach Süden erstreckte. Die nationalen Verselbständigungsbestrebungen der nach ihren Sprachen hier vereinigten 11 Nationalitäten (Deutsche, Tschechen, Polen, Ruthenen, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Slowenen, Kroaten, Serben, Italiener) brachten mit dem Ende des Ersten Weltkrieges den Zerfall der habsburgischen Ländervereinigung und die Errichtung neuer Nationalstaaten, wenngleich nicht jede einstige Nationalität einen eigenen Staat mit der Übereinstimmung von Staats- und Sprachbereich erhielt. Trotz der Anerkennung der Nationalitätensprachen in der Monarchie fungierte in diesem Großraum das Deutsche, ausgehend von Wien als der Reichshauptstadt und dem Sitz des Kaisers, als mündliche und zum Teil auch schriftliche Verkehrssprache, und dies vor allem in der Verwaltung und als Sprache des Militärs. Eine solche Koinefunktion hatte das Deutsche bis 1918 auch in den fremdsprachigen Gebieten des 1871 errichteten Deutschen Reiches, nämlich Elsass-Lothringen im Südwesten, in Nordschleswig (dem heutigen südlichen Dänemark) im Norden und in Oberschlesien, Posen und Teilen von West- und Ostpreußen im Osten. Darüber hinaus gab es deutsche Beziehungen besonders in Dänemark und Finnland in Skandinavien und in den baltischen Ländern mit der baltendeutschen Bevölkerung. Trotz der nationalen Verselbständigungsbestrebungen in der zweiten Hälfte des 19. und am beginnenden 20. Jahrhundert blieb in diesem einstigen östlichen und südöstlichen Großraum über die politischen und territorialen Neuordnungen Mittel-, Ost- und Südosteuropas nach dem Ersten Weltkrieg hinaus, der nicht nur den Zerfall der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, sondern auch eine Verkleinerung des Deutschen Reiches besonders um Elsass-Lothringen und Posen mit sich brachte, die Koinefunktion des Deutschen vor allem in den mobilen Teilen der fremdsprachigen Bevölkerung fortbestehen. Sie wurde erst durch den Nationalsozialismus und dessen sowohl gegen den Osten wie den Westen gerichteten Aggressionen während des Zweiten Weltkrieges in der Zeit von 1933–1945 schwer beeinträchtigt, indem sich allseits eine Abneigung gegen alles Deutsche und da auch gegen die deutsche Sprache einstellte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt zwar Österreich wieder seine 1938 verlorene Souveränität, aber der deutsche Sprachraum wurde durch die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei und die Zuweisung der deutschen Ostgebiete von Schlesien, Pommern und Ostpreußen östlich von Lausitzer Neiße und Oder an Polen stark verkleinert. Die politische Teilung Deutschlands in die westliche Bundesrepublik und die östliche Deutsche Demokratische Republik, wie überhaupt die Spaltung Europas in eine westliche und eine unter dem politischen Einfluss der Sowjetunion stehende kommunistisch-marxistische östliche mitteleuropäische Hälfte, unterband durch den Eisernen Vorhang die Kontakte der Bevölkerung. Obwohl in allen östlichen Ländern unter sowjetischem Druck Russischunterricht obligatorisch eingeführt wurde und die Politik in allen Bereichen eine östliche Ausrichtung auf die Sowjetunion anstrebte, kam es mit der allmählichen Lockerung doch wieder zum Interesse an der deutschen Sprache. So bemühte sich die Bevölkerung in den an den deutschen Sprachraum angrenzenden Ländern um den Empfang österreichischer und bundesdeutscher Radio- und dann Fernsehsendungen, insbesondere aber um den Nachrichtenempfang. Auch der Blick auf das westliche deutsche Wirtschaftswunder regte das Interesse an der deutschen Sprache an, besonders als es in Ungarn und Jugoslawien wieder möglich wurde, nach Österreich und auch nach Deutschland zu reisen und vor allem dort als Gastarbeiter tätig zu werden sowie Wirtschaftseinkäufe zu tätigen. So kam, wenn auch in bescheidenem Umfang wieder Deutschunterricht in Schulen und Fremdsprachinstituten auf. Ihn förderte vor allem an den Universitäten die DDR durch Lektoren und Lehrwerke. Als schließlich 1989 in allen östlichen Ländern der politische Umbruch erfolgte und die Sowjetunion zerfiel, begann sich nicht nur die Politik dem Westen zuzuwenden, sondern endete auch der Russischunterricht, und an seine Stelle trat bei großem Zuspruch ein umfänglicher Deutschunterricht. Freilich ist seither die anfängliche Begeisterung zurückgegangen und heute dominiert überall das Englische, doch besteht weiterhin großes Interesse am Erlernen des Deutschen, und das meist aus wirtschaftlichen, aber auch aus praktischen Gründen. Nicht nur dass Deutschland und Österreich wirtschaftlich anziehend sind, ist der deutsche Sprachraum auch der nächstgelegene große Sprachraum für die angrenzenden östlichen Nachbarländer Slowenien, Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen und darüber hinaus im Südosten besonders für Kroatien und Rumänien und damit der nächstgelegene westliche sprachliche Kontaktraum. Obwohl besonders in den deutschsprachigen Grenzgebieten Deutschlands und Österreichs, wenn auch in bloß bescheidenem Umfang Unterricht in den jeweiligen Nachbarsprachen angeboten wird und dessen Intensivierung wünschenswert ist, könnte das Deutsche als Großsprache sowohl im Hinblick auf seine zentrale Lage als auch die Zahl seiner muttersprachlichen Angehörigen sowie angesichts der historischen kulturellen Verbindungen, die besonders von Österreich immer wieder betont werden, besonders in einer erweiterten Europäischen Union erneut eine verkehrssprachliche Koine der mobilen Bevölkerung bilden. Das gilt auch für die an Deutschland im Westen angrenzenden Gebiete besonders von Ostfrankreich, Luxemburg, Belgien und den Niederlanden, wenn dort auch das Interesse an Deutsch und seine Beherrschung recht unterschiedlich sind und vor allem Luxemburg durch die Erhebung des Lëtzebuërgeschen zu seiner neuen Nationalsprache das Französische erklärte und besonders das Deutsche zurückdrängt. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass in Südtirol als Teil Italiens seit 1918/19 sich heute die deutsch-italienische Zweisprachigkeit vor allem bei der muttersprachlich deutschen, weniger bei der italienischen Bevölkerung durchgesetzt hat, wenngleich die sprachpolitische Lage trotz der gesetzlichen Sprachbestimmungen und ihrer derzeitigen Umsetzung eine fragile ist.

Um weder eine falsche Euphorie von Germanisten und Deutschlehrern noch unbeabsichtigte sprachimperialistische Ansprüche für das Deutsche aufkommen zu lassen, sei kurz auf die Lage des Deutschunterrichts und damit auch auf die durchschnittlichen Deutschkenntnisse in den einzelnen europäischen Ländern als Voraussetzung für die Möglichkeit von Deutsch als einer mitteleuropäischen Verkehrssprache eingegangen. Darüber informiert jüngst eine vom Institut für deutsche Sprache in Mannheim auf Grund von Expertenberichten zusammengestellte Broschüre.24 Wie schon gesagt, dominiert heute in allen Ländern im Fremdsprachenunterricht das Englische. Das hängt nicht nur mit seiner globalen internationalen Rolle zusammen, sondern es wird dort, wo den Schülern bzw. den Eltern die freie Wahl der Fremdsprache überlassen ist, Englisch besonders gegenüber Deutsch und Französisch als die in grammatikalischer Hinsicht wesentlich leichter erlernbare Fremdsprache und damit auch bezüglich des schulischen Erfolges einfachere bevorzugt. In den südeuropäischen Ländern Portugal, Spanien und Italien spielt Deutsch als 3. Fremdsprache nach Englisch und Französisch nur eine geringe Rolle. Ähnliches gilt für die westeuropäischen Länder Irland und England, wo der Deutschunterricht nach Französisch und zum Teil auch nach Spanisch stark rückläufig ist. Auch in den Niederlanden besteht geringes Interesse am Deutschunterricht. In Frankreich steht Deutsch nach Englisch und Spanisch an 3. Stelle, doch hat Deutsch in Ostfrankreich als der Nachbarregion zu Deutschland höhere Anteile. In den skandinavischen Ländern behauptet Deutsch, obwohl es im Fremdsprachenunterricht den Status eines Wahlfaches hat, in Dänemark und Norwegen seine traditionelle Position als zweite Fremdsprache. Da in Finnland Schwedisch zweite Landessprache ist und das Land im Osten nicht nur an Russland grenzt, sondern auch geschichtliche Zusammenhänge mit Russland bestehen, teilt sich das Fremdspracheninteresse, vom dominierenden Englisch abgesehen, auf, so dass Deutsch als zweite oder dritte Fremdsprache neben Französisch oder Russisch gewählt wird. Über eine relativ gute Position verfügt dagegen Deutsch neben Englisch in den östlichen mitteleuropäischen Staaten von Polen bis Kroatien, nur in Rumänien wird in Fortführung einer alten Tradition auch noch viel Französisch gelernt. Um einen ungefähren Zahlenvergleich zwischen dem „westlichen” und dem „östlichen” Verhalten gegenüber Deutsch zu geben, seien die durchschnittlichen Anteile des schulischen Deutschunterrichts in Italien und in Polen des Jahres 1995/96 einander gegenübergestellt. Während in Italien einschließlich Südtirols insgesamt rund 196.000 Schüler Deutsch lernen, sind es in Polen rund 2.330.000, was bezüglich der Gesamtzahl des jeweiligen Fremdsprachenunterrichts 6 Prozent in Italien und gegen 20 Prozent in Polen ausmacht,25 so dass der Deutschunterricht im „östlichen” Mitteleuropa rund dreimal höher liegt als sonst wo. So hofft Eugen Tomiczek aus polnischer Sicht auch: „Neben Englisch als internationaler Sprache hat Deutsch eine gute Chance, in naher Zukunft zu einer euroregionalen Sprache zu werden”.26

 

3. Die sprachlichen Grundlagen im DaF/DaZ Unterricht

Da eine lebende Sprache kein abstraktes Gebilde ist, sondern das Kommunikationsmittel einer Sprachgemeinschaft bildet, muss auch das Erlernen einer lebenden Fremdsprache vom aktuellen Sprachzustand im Mutterland ausgehen. Wenn im Fremdsprachunterricht selbstverständlich die Schrift- und Standardsprache zugrunde gelegt wird – die mündlichen Dialekt- und Umgangssprachen müssen, wie gesagt, hier fernbleiben –, so haben die anfänglichen Erläuterungen gezeigt, dass die deutsche Schrift- und Standardsprache nicht als Einheitssprache aufzufassen ist und es daher auch keine einzige und ausschließlich verbindliche Norm gibt. Vielmehr weist die deutsche Schrift- und Standardsprache auf allen strukturellen Ebenen und in der Pragmatik Varianten auf, wodurch sich auf Grund der unterschiedlichen Gültigkeit und Verbreitung dieser Varianten Varietäten konstituieren. Die sprachliche Verschiedenheit wird im mündlichen Bereich auch allseits in Form landschaftlich verschiedener Intonationen und Lautbildungen wahrgenommen. Auf der schriftlichen Ebene lässt sie sich, wie gesagt, anhand des Wortschatzes auch anteilsmäßig überprüfen.

Für den Fremdsprachenunterricht bedeutet dies, dass zwar von einem weithin übereinstimmenden deutschen Grundbestand ausgegangen werden kann, dass aber sehr wohl die Varianten aller sprachlichen Ebenen in Form der räumlich geltenden Varietäten einbezogen werden müssen, um keine abstrakte Sprache zu vermitteln, sondern auf dem Boden der Realität zu bleiben. Hier liegt ein grundsätzliches Problem des Fremdsprachenunterrichts, denn dieser trägt leider vielfach den realen Verhältnissen nicht genügend Rechnung und hält sich weitgehend an nicht existente, idealisierte, abstrakte Vorgaben. Auch die verschiedenen Lehrbücher für den Fremdsprachenunterricht sind hinsichtlich des Varietätenzustandes der zu vermittelnden deutschen Schrift- und Standardsprache leider vielfach mangelhaft, indem sie diesen meist übergehen oder neuerdings vereinzelt lediglich als Problem kurz ansprechen, ohne daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen.27 Damit aber stellt sich die Frage, welches Deutsch bzw. welche Varietät der deutschen Schrift- und Standardsprache denn mündlich und schriftlich im Unterricht von Deutsch als Fremdsprache bzw. Deutsch als Zweitsprache vermittelt werden soll?

Da das Erlernen einer Fremdsprache im allgemeinen mit dem Ziel erfolgt, im jeweiligen Land mit der Bevölkerung sprachlich kommunizieren zu können, ist es sinnvoll, den Deutschunterricht auf jener Varietät der deutschen Schrift- und Standardsprache aufzubauen, die in jenem Bereich gilt, mit dem die meisten Kontakte erfolgen. Das ist im Allgemeinen der nächstgelegene binnenländische Raum. Für Ungarn, Slowenien, Kroatien und die Slowakei etwa ist dies Österreich, für den größten Teil Polens von Schlesien bis zur Ostsee Mittel- und Norddeutschland. Es empfiehlt sich daher, von der jeweiligen Kontaktvarietät des Deutschen auszugehen, was von Anfang an im mündlichen Bereich von besonderer Bedeutung für die Intonation und die Aussprache ist. Obwohl man zunächst den einheitlichen Grundbestand des Deutschen in Grammatik und Wortschatz erarbeiten wird, sollten jedoch auch die gebietsweisen Varianten der einzelnen sprachlichen Ebenen stets im Auge behalten und allmählich in den Unterricht einbezogen werden. Das kann zunehmend in Verbindung mit Texten und Übungen geschehen, die sich auf die einzelnen deutschsprachigen Länder und Gebiete beziehen. Hinsichtlich der Aussprache ist es auf der phonetischen Ebene empfehlenswert, das Lautverhalten der deutschen Kontaktvarietät mit dem eigenen Lautinventar soweit wie möglich in Verbindung zu bringen. So ist es in Österreich, der Schweiz und in Süddeutschland üblich, die anlautenden und intersonoren Plosive b, d, g und den Frikativ s etwa in beben, Degen, gegen, sausen stimmlos zu sprechen.28 Auf Stimmhaftigkeit zu insistieren, wie sie die Aussprachewörterbücher und die phonetischen Beschreibungen des Deutschen angeben,29 ist deshalb nicht sinnvoll, vor allem dann nicht, wenn das eigene Lautinventar ebenfalls nur stimmlose Konsonanten kennt wie z. B. das Italienische. Man wird aber die Stimmhaftigkeit durchaus gelten lassen, wenn sie mit dem eigenen Lautinventar übereinstimmt, wie etwa im Slowenischen oder Kroatischen. Ebenso wenig ist es sinnvoll, für das Italienische und alle slawischen Sprachen angesichts von deren alveolarem Zungenspitzen-r im Deutschunterricht ein angeblich „deutsches” uvulares Zäpfchen-r zu verlangen und mühevoll zu erlernen, denn ein Großteil des oberdeutschen Raumes von Österreich, der Schweiz und Süddeutschland sprechen Zungenspitzen-r, das früher sogar für die Hochlautung der Bühnenaussprache allein zulässig war. Was die Wortakzente betrifft, so sollte ebenfalls nach der Kontaktvarietät verfahren, doch zugleich auch die anderen Varianten zur Kenntnis gebracht werden. So heißt es z. B. in Österreich und weitgehend in Süddeutschland mit Endbetonung Kaffée, während anfangsbetontes Káffee mittel- und norddeutsch ist. Auch bei grammatikalischen Unterschieden wie der Vergangenheitsbildung mit sein oder haben bei den Bewegungsverben legen, sitzen, stehen wird man mit oberdeutschem er ist gelegen gegenüber mittel- und norddeutschem er hat gelegen so verfahren. Die Variation im Wortschatz wird sich nicht nur anhand von Lektüretexten zunehmend einstellen, sondern sollte gezielt auf einer bereits höheren Lernstufe besonders im Zusammenhang mit dem Landeskundeunterricht bewusst gemacht und ausgebaut werden. Im Landeskundeunterricht aber sollte ebenfalls von den Verhältnissen im Kontaktland ausgegangen und die weiteren deutschsprachigen Länder einbezogen werden, so dass schließlich mit Deutschland, Österreich und der Schweiz alle drei großen deutschsprachigen Länder bekannt gemacht werden. Bezüglich der Varianten des Wortschatzes ist wichtig, dass man nicht, wie es oftmals fälschlich geschieht, Varianten wie Samstag/Sonnabend oder Topfen/Quark als gleichwertige synonyme Dubletten hinstellt. Vielmehr muss zugleich die räumliche Gültigkeit der Varianten in den einzelnen Varietäten vermittelt werden. So kann es z. B. in richtiger Kombination norddeutsch bloß die Schweineköpfe in den Schaufenstern der Schlachter und süddeutsch und westösterreichisch nur die Schweinsköpfe in den Auslagen der Metzger bzw. ostösterreichisch der Fleischhauer heißen. Hilfestellung für ein derartiges Varianten- bzw. Varietätenverständnis kann, wie etwa in Ungarn, auch der Sprachgebrauch der bodenständigen deutschsprachigen Minderheit bieten, bei der durch über 200jährige Sprachkontakte vielfach die österreichischen Varianten gelten.

Wenn man den Deutschunterricht an den Varietäten der deutschen Schrift- und Standardsprache orientiert, dann wird man den Lernenden auch die immer wieder auftretenden Schockerlebnisse bei den ersten Aufenthalten im deutschsprachigen Gebiet ersparen. Sie kommen dadurch zustande, dass der Abstand zwischen den angetroffenen Sprachverhältnissen und einer meist allzu hoch angesiedelten gelernten Sprachform sehr groß ist. Zu diesem Zweck werden auch die Lehrbücher für den DaF/DaZ-Unterricht entsprechend angelegt bzw. umgearbeitet und erweitert werden müssen. Angesichts der relativ geringen Menge an Varianten aber sind mögliche Ängste der Lehrenden vor einem erschwerten Umgang mit der deutschen Sprache unbegründet.

 

Anmerkungen

1

Zur Beurteilung und Beschreibung der deutschen Sprache in den einzelnen deutschsprachigen Ländern vgl. im allgemeinen Ammon (1995), für Österreich besonders Wiesinger (1988, 1996, 2001) und für die Schweiz Meyer (1989) und Sieber (2001).

2

Vgl. Moser (1985).

3

Die Studie für Österreich ließ Hugo Moser zu den in den Duden-Beiträgen erschienenen entsprechenden Untersuchungen von Rizzo-Bauer (1962) anfertigen.

4

Vgl. Der große Duden – Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter (1934) und Duden – Rechtschreibung der deutschen Sprache (1973).

5

Vgl. Ebner (1969).

6

Vgl. Der große Duden – Wörterbuch und Leitfaden der deutschen Rechtschreibung (1972).

7

Vgl. Clyne (1984).

8

Vgl. Polenz (1987) und zum anschließenden raschen Aufgriff der neuen Ansichten Polenz (1988).

9

Vgl. Fleischer (1987).

10

Vgl. Clyne (1995).

11

Vgl. dazu die Beschreibungen von Banzer (1998).

12

Vgl. dazu ausführlich Wiesinger (1995) und die Fortführung von Schrodt (1997).

13

Vgl. Wiesinger (2000), S. 544 ff.

14

Zum Österreichischen Wörterbuch vgl. Wiesinger (2000a).

15

Vgl. die Ergebnisse einer Umfrage und ihre Begründungen bei Steinegger (1998), S. 305 ff. und Wiesinger (2000), S. 556 f.

16

Gegen das Modell „nationaler Varietäten” und für ein „pluriareales” Modell sind besonders Scheuringer (1996) und Pohl (1997).

17

Bei Ebner (1998) heißt es am Buchumschlag, dass „mehr als 7.000 Artikel” über die Besonderheiten des österreichischen Deutsch Auskunft geben, das Vorwort spricht von „etwa 8.000 Stichwörtern”.

18

Vgl. die entsprechenden Angaben bei Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache und bei Brockhaus – Wahrig.

19

Ammon (1995), S. 154 ff. bietet eine charakteristische Auswahl häufig verwendeter Ausdrücke mit folgenden Verteilungen auf 8 Sachbereiche: 1. Speisen und Mahlzeiten 101; 2. Verwaltung, Justiz, Gesundheitswesen, Schule und Militär 91; 3. Geschäftsleben, Handwerk, Landwirtschaft und Verkehr 85; 4. Haushalt und Kleidung 55; 5. Menschliches Verhalten, Soziales, Charaktereigenschaften und Körperteile 31; 6. Sport und Spiele 19; 7. Sonstiges 21; 8. Formwörter 15.

20

Vgl. De Cilia (1997).

21

Vgl. dazu Ehlich (2001) und Ossner (2001).

22

Die beiden Resolutionen sowie die Stellungnahmen der Politiker und Wirtschaftsvertreter dazu werden publiziert in: Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. Hrsg. von Peter Wiesinger. Bd. 1. Bern u. a. 2001 (Jahrbuch für Internationale Germanistik 53) (im Druck).

23

Vgl. Ammon (1991).

24

Vgl. Germanistik und Deutschunterricht. Die Redaktion bemerkt dazu: „Die in diesem Band wiedergegebenen Länderumrisse haben nur illustrierenden Charakter und sind nicht als kartographische Darstellung der tatsächlichen geographischen oder politischen Verhältnisse zu verstehen.”

25

Da bei den Angaben für Polen auch die Lehrerkollegien und die zahlreichen privaten Sprachschulen einbezogen sind, lässt sich im Gegensatz zu den allein auf die Schulen bezogenen italienischen Angaben für Polen kein exakter Prozentsatz gewinnen.

26

Vgl. Germanistik und Deutschunterricht, S. 53.

27

Als Beispiel sei Dienst/Koll/Rabofski (1998) genannt. Die norddeutschen Autorinnen gliedern ihr DaF-Lehrbuch nach den deutschen Bundesländern und widmen Kap. 10 Österreich. Zeichnet hier ein Teil der Texte im Gegensatz zu den Beschreibungen Deutschlands nicht gerade ein positives Bild von Land und Leuten, so wird zwar die Varietät „österreichisches Deutsch” mit einem Text angesprochen und werden mit einer Textprobe aus Christine Nöstlingers „Jokel, Jula und Jericho” dafür auch praktische und erläuterte Beispiele geboten, aber die Zwischentexte nehmen nicht auf das österreichische Deutsch Bezug. So heißt es etwa Schrank statt Kasten, Sonnabend statt Samstag, Anwohner statt Anrainer, erhält Schlagobers mit der falsches maskulines statt richtiges neutrales Genus und werden dem Wiener Finanzministerium Mehreinnahmen in Mark statt in Schilling unterstellt.

28

Das standardsprachliche landschaftliche Ausspracheverhalten, das durchaus auch das öffentliche Sprechen in den Audiomedien und im Theater betrifft, kodifiziert in seinen geographischen Verbreitungen für die Bundesrepublik Deutschland vor der deutschen Wiedervereinigung König (1989). Ein Großteil des süddeutschen, besonders bayerischen Verhaltens gilt auch in Österreich.

29

So z. B. das Duden – Aussprachewörterbuch (2000).

 

Literatur

Ammon, Ulrich (1991): Die internationale Stellung der deutschen Sprache. Berlin und New York.

Ammon, Ulrich (1995): Die deutsche Sprache in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Das Problem der nationalen Varietäten. Berlin und New York.

Banzer, Baldur (1998): Die Mundart des Fürstentums Liechtenstein. Sprachformengebrauch, Lautwandel und Lautvariation. In: Jahrbuch des Historischen Vereins für das Fürstentum Liechtenstein 95, S. 141–247.

Brockhaus – Wahrig: Deutsches Wörterbuch. 6 Bde. Wiesbaden und Stuttgart 1980–84.

Clyne, Michael (1984): Language and Society in the German-speaking Countries. Cambridge.

Clyne, Michael (1995): The German Language in a Changing Europe. Cambridge.

De Cilia, Rudolf (1995): Erdäpfelsalat bleibt Erdäpfelsalat. Österreichisches Deutsch und EU-Beitritt. In: Muhr/Schrodt/Wiesinger (1995), S. 121–131.

Der Große Duden – Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter nach den für das Deutsche Reich, Österreich und die Schweiz gültigen amtlichen Regeln. 11. neubearb. und erweit. Aufl. von Otto Basler. Leipzig 1934.

Der Große Duden – Wörterbuch und Leitfaden der deutschen Rechtschreibung. 16. Aufl. Hrsg. von Horst Klien. Leipzig 1972.

Dienst, Leonore/Koll, Rotraut/Rabofski, Birgit (1998): DaF in 2 Bänden. Ismaning.

Duden – Aussprachenwörterbuch. Wörterbuch der deutschen Standardaussprache. 4. völlig neu bearb. und erweit. Aufl. von Max Mangold. Mannheim u. a. 2000 (Duden 6).

Duden – Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. 8. Bde. 2. Aufl. Mannheim u. a. 1993–95.

Duden – Rechtschreibung der deutschen Sprache und der Fremdwörter. 17. neubearb. und erweit. Aufl. Mannheim 1973 (Duden 1).

Ebner, Jakob (1969, 1980): Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch der österreichischen Besonderheiten. Mannheim u. a. 1969. 2. Vollständig überarb. Aufl. Mannheim u. a. 1980 (Duden-Taschenbücher 8).

Ebner, Jakob (1998): Wie sagt man in Österreich? Wörterbuch des österreichischen Deutsch. 3. Vollständig überarb. und erweit. Aufl. Mannheim u. a. (Duden – Taschenbücher 8).

Ehlich, Konrad (2001): Standard zwischen Bühne und Regionalität. In: Ehlich/Ossner/Stammerjohann (2001), S. 145–158.

Ehlich, Konrad/Ossner, Jakob/Stammerjohann, Harro (Hrsg., 2001): Hochsprache in Europa. Entstehung, Geltung, Zukunft. Freiburg im Breisgau.

Fleischer, Wolfgang (Hrsg., 1987): Wortschatz der deutschen Sprache in der DDR. Fragen seines Aufbaus und seiner Verwendungsweise. Leipzig.

Germanistik und Deutschunterricht in 16 Ländern. Berichte aus dem Internationalen Wissenschaftlichen Rat des IDS. Hrsg. vom Institut für Deutsche Sprache. Mannheim 2001 (Amades 2).

König, Werner (1989): Atlas zur Aussprache des Schriftdeutschen in der Bundesrepublik Deutschland. 2 Bde. Ismaning.

Meyer, Kurt (1989): Wie sagt man in der Schweiz? Wörterbuch der schweizerischen Besonderheiten. Mannheim u. a. (Duden – Taschenbücher 22).

Moser, Hugo (1985): Die Entwicklung der deutschen Sprache seit 1945. In: Besch, Werner, u. a. (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Berlin und New York 1985, S. 1678–1707.

Muhr, Rudolf/Schrodt, Richard/Wiesinger, Peter (Hrsg., 1995): Österreichisches Deutsch. Linguistische, sozialpsychologische und sprachpolitische Aspekte einer nationalen Variante des Deutschen. Wien (Materialien und Handbücher zum österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache 2).

Muhr, Rudolf/Schrodt, Richard (Hrsg. 1997): Österreichisches Deutsch und andere Varietäten plurizentrischer Sprachen in Europa. Wien (Materialien zum österreichischen Deutsch und zu Deutsch als Fremdsprache 3).

Österreichisches Wörterbuch. Wien 1951. 38. Aufl. Neubearbeitung. Wien 1997.

Ossner, Jakob (2001): Sprachbewusstheit und Normierung im muttersprachlichen Unterricht des Deutschen. In: Ehlich/Ossner/Stammerjohann (2001), S. 171–183.

Pohl, Heinz-Dieter (1997): Gedanken zum österreichischen Deutsch (als Teil der „pluriarealen” deutschen Sprache). In: Muhr/Schrodt (1997), S. 67–87.

Polenz, Peter von (1987): Nationale Varietäten der deutschen Hochsprache. Podiumsdiskussion auf der VIII. Internationalen Deutschlehrertagung in Bern am 5. August 1986. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 15, S. 101–103.

Polenz, Peter von (1988): ‘Binnendeutsch’ oder plurizentrische Sprachkultur? Ein Plädoyer für Normalisierung in der Frage der ‘nationalen’ Varianten. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 16, S. 198–218.

Rizzo-Bauer, Hildegard (1962): Die Besonderheiten der deutschen Schriftsprache in Österreich und Südtirol. Mannheim (Duden-Beiträge 5).

Scheuringer, Hermann (1996): Das Deutsche als pluriareale Sprache. Ein Beitrag gegen staatlich begrenzte Horizonte in der Diskussion um die deutsche Sprache in Österreich. In: Die Unterrichtspraxis/Teaching German 29, S. 147–153.

Schrodt, Richard (1997): Nationale Varianten, areale Unterschiede und der „Substandard”. An den Quellen des Österreichischen Deutsch. In: Muhr/Schrodt (1997), S. 12–39.

Sieber, Peter (2001): Das Deutsche in der Schweiz. In: Helbig, Gerhard, u. a. (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein internationales Handbuch. Bd. 1. Berlin und New York 2001, S. 491–504.

Steinegger, Guido (1998): Sprachgebrauch und Sprachbeurteilung in Österreich und Südtirol. Ergebnisse einer Umfrage. Frankfurt am Main u. a. (Schriften zur deutschen Sprache in Österreich 26).

Wiesinger, Peter (Hrsg., 1988): Das österreichische Deutsch. Wien (Schriften zur deutschen Sprache in Österreich 12).

Wiesinger, Peter (1995): Das österreichische Deutsch in der Diskussion. In: Muhr/ Schrodt/Wiesinger (1995), S. 59–74.

Wiesinger, Peter (1996): Das österreichische Deutsch – Eine Varietät der deutschen Sprache. In: Germanistische Mitteilungen (Brüssel) 43/44, S. 219–238.

Wiesinger, Peter (2000): Nation und Sprache in Österreich. In: Gardt, Andreas (Hrsg.): Nation und Sprache. Die Diskussion ihres Verhältnisses in Geschichte und Gegenwart. Berlin und New York 2000, S. 525–562.

Wiesinger, Peter (2000a): Zum „Österreichischen Wörterbuch”. Aus Anlass der 38. neubearbeiteten Auflage (1997). In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 28, S. 41–64.

Wiesinger, Peter (2001): Das Deutsche in Österreich. In: Helbig, Gerhard, u.a. (Hrsg.): Deutsch als Fremdsprache. Ein Internationales Handbuch. Bd. 1. Berlin und New York 2001, S. 481–491.