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Begegnungen
Schriftenreihe des Europa Institutes Budapest, Band 6:33–37.

ISTVÁN NEMESKÜRTY

Die Königlich-Ungarische Adelige Leibgarde

Die kulturelle Bedeutung der ungarischen Leibgarde zur Zeit Maria Theresias

 

Im Jahre 1772 erschienen in Wien, in Leopold Kaliwoda’s Buchdruckerei vier Bücher nacheinander – vier Werke eines fünfundzwanzigjährigen ungarischen Leibgardisten, György Bessenyei, in ungarischer Sprache. Das erste Buch behandelt die Tragödie des László Hunyadi, und enthält auch einige Gedichte. Der zweite Band ist die Bearbeitung des Werkes des englischen Dichters Alexander Pope: Essay on Man. Der dritte Band bietet eine kurzweilige Beschreibung eines Festes des Fürsten Esterházy, und das vierte Buch schließlich befasst sich mit der Tragödie des Agis. Es ist erstaunlich, dass der aus Ostungarn stammende und aus bescheidenen Verhältnissen kommende Gardist genug Geld zur Herausgabe dieser Bücher zur Verfügung hatte. Und überhaupt – was führte einen Soldaten, einen jungen Leutnant dazu in Wien ungarische Gedichtbücher zu schreiben?

Bessenyeis Wirken ist in der ungarischen Literaturgeschichte wohlbekannt und oft bearbeitet. Jedes Schulkind weiß über die Bedeutung seiner Tätigkeit. Wenig wurde aber über die Zusammenhänge der Dichtertätigkeit der ungarischen Gardisten – es waren deren zahlreiche – und ihrer Dienstpflicht gesprochen. Diese Zusammenhänge sind wichtige Dokumente der Kulturpolitik Maria Theresias.1

Königin Maria Theresia erließ am 11. September 1760 eine Verordnung über die Aufstellung einer ungarischen adeligen Leibgarde. Praktisch war das eigentlich nicht nötig, weil es ja natürlich schon eine Art militärische Wachmannschaft gab. (Die anderen Garden, so die Arcièren-Leibgarde im Jahre 1763, die Trabentenleibgarde zu Fuß in 1767 – waren also später errichtet.) Der ungarischen Garde wurde als Wohnsitz das Trautson-Palais, nahe der Burg zugeteilt. Die Garde bestand aus 120 Gardisten, die alle vier Jahren gewechselt wurden. Die Gardisten führten den Rang eines Leutnants. Den Komitaten wurde gestattet, die Gardisten – je zwei Mann pro Komitat – frei und selbstständig auszuwählen. Das war ein äußerst geschickter Schachzug. Es erfüllte die Edelleute mit Stolz: die Königin berief eine ungarische Leibgarde zu ihrem persönlichen Schutze! Und dass die Vorsitzenden der Komitatsversammlung das Recht hatten, die Leibgarde aus eigenem Ermessen zusammenzustellen – das bedeutete große Verpflichtung. So also war es an ihnen, die besten jungen Männer nach Wien zu schicken. Es ging ja um den Schutz der Königin – eine Ehrensache! Ein Wetteifern unter den Komitaten begann um schließlich die im Fechten und Schießen bestens ausgebildeten, die stärksten und tapfersten Edelleute in Wien zu wissen.

In Wien gab es vorerst eine etwas ernüchternde Überraschung: die jungen Leute mussten aufs Neue die Schulbank drücken und lernen. Sie wurden in Weltliteratur, Geschichte und Geographie unterrichtet. Sie mussten Sprachen lernen: deutsch und französisch. Staatswissenschaft, sogar Recht und Verwaltung stand auf dem Lehrplan. Und nicht zuletzt Musik und Tanz. Militärwissenschaft in der Praxis und Theorie waren selbstverständlich. Das Pensum war groß, der Lehrplan straff.

Nach dem Unterricht folgte der eigentliche Dienst, und während des Dienstes richtete die Königin hin und wieder das Wort an sie, oder die Hofdamen begannen ein Gespräch mit ihnen. Man ging zu Konzerten, in die Oper oder besuchte Theatervorstellungen. Das Hofarchiv und -bibliothek durften sie frei besuchen, und Bücher, auch wertvolle ungarische Codices und Urdrucke konnte man ausleihen. Die Gardisten wurden auch auf Reisen geschickt. Bessenyei zum Beispiel wurde der Herzogin Maria Amalia, der 22-jährigen Tochter der Königin als Leibgardist-Reisebegleiter zugeordnet. Die Reise ging nach Parma, wo Maria Amalia die Gattin von Herzog Ferdinand von Parma wurde.

Auf diese Weise erreichte die Königin, dass sich eine Elite-Intelligenz aus Ungarn um sie scharte, die sie ausbilden ließ, und deren Treue und Hingebung sie sich sicher wusste.2

Der Vorschrift gemäß mussten die Gardisten vier Jahre dienen – nach Ablauf dieser Zeit durften sie den Dienst quittieren, oder um ihre Versetzung zum Heeresdienst bitten im Range eines Hauptmanns. Einige aber blieben bis zum Lebensende im Dienst der Garde – als Kommandeure oder höhere Offiziere. Wer den Dienst quittierte, erhielt wichtige Verwaltungsposten in Ungarn. Sie leiteten Komitate und staatliche Unternehmen, Schuldirektionsbezirke, usw. Ein ehemaliger Gardist war überzeugt königstreu und im damaligen Sinne der Aufklärung hochgebildet, mit vielseitigen Kenntnissen ausgestattet. So konnten sie das Erlernte weitergeben und für eine Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus sorgen. Jene Gardisten, die zum Heeresdienst übertraten, wurden nach kurzem Feld- und Kriegsdienst dem Generalstab zugeteilt. Uns sind Namen jener Gardisten bekannt, die als persönlicher Kurier des Kaisers nach Madrid, Paris, London, Moskau oder Berlin reisten um mit den Herrschern der damaligen Welt wichtige und geheime Besprechungen zu führen. Nie brach einer die ihm auferlegte Schweigepflicht. Oft ritten sie tausende von Kilometern durch feindliches Gelände. Der Gardist Antal Farkas z.B. diente drei Jahre lang in 18 Staaten als Kurier; und als Melchior Bernáth mit einer wichtigen Nachricht 28 Tage lang durch die Pyrenäen und durch Frankreich und Oberitalien ritt, um sie Kaiser Leopold zu überreichen – da bewunderte der Herrscher seinen Gardisten.

Wie klug Maria Theresia ihr Projekt verwirklichte, ersehen wir aus der am Anfang erwähnten Tatsache, dass ihr Leibgardist Bessenyei innerhalb eines Jahres vier Bücher veröffentlichte. Wie konnte er das? Die Hofdamen der Königin, Theresia Freiin von Grass und Annemarie Beleznay spielten seine Manuskripte ihrer Herrin, der Königin zu. Maria Theresia erkannte das schriftstellerische Talent ihres Gardisten und unterstützte das Erscheinen der Bücher. So geschah es, dass die ungarische Literatur der Aufklärung ihre Wurzeln in Wien, ja sogar am Kaiserlichen Hofe hat.

Theresia Grass schrieb am 4. Dezember 1772 an den Bibliothekar der Königin: „Unser bester Georg Bessenyei hat seine Tragödie Ihro Majestät untertänigst zu Füssen gelegt, woruber Ihro Majestät ein sehr gnädiges Wohlgefallen zeiget. Allein da Ihro Majestät die ungarische Sprache nicht verstehet, so befahl sie mir, Euerwohl zu sagen, dass Höchstdieselben von Euerwohl verlanget, Ihr sollten zu wissen machen, wie sie solche finden, indem es Ihre Majestät freuet, dass sich diese jungen Adeligen Kinder auf solche vernünftige Sachen verlegen, welches zu wünschen, dass es mehrere täten; und wenn solche Tragödie von Euerwohl approbieret, so wird ihre Majestät sehr content darüber zu sein und wird solches meinem besten, gescheiten Bessenyei zu seinem Lob und ferneren Glücke bei Ihro Majestät sein. Dadurch wird dieser junge Mann noch mehr angeeifert in seinem so schönen Vornehmen fortzufahren ...”3

Nicht oft genug können wir betonen, dass dies keine deutschsprachige, sondern – auf ausdrücklichen Wunsch der Königin – eine Literatur in ungarischer Sprache war.

Bessenyei verfasste mehr als vierzig Bücher, darunter auch einige in deutscher Sprache. Ist das überhaupt dem deutschen oder österreichischen Leserpublikum bekannt?

Zur Zeit der Napoleonischen Kriege lebte Bessenyei zurückgezogen auf seinem Gut in Ungarn.

Bessenyeis Beispiel und die Gunst der Königin spornte auch andere Gardisten an. Im Jahre 1777 erschien ein gemeinsames Gedichtband der Gardisten unter dem Titel: „Freundeskreis”. Der Bruder von György, Sándor Bessenyei, auch Gardist, übersetzte „Das verlorene Paradies” von Milton in die ungarische Sprache. Bis heute werden die Gedichte von den Gardisten wie zum Beispiel Ábrahám Barcsay, Sándor Bárótzi und Sándor Kisfaludy hochgeschätzt. Kisfaludy Sándors Gedichte, Himfys Liebschaften erschien im Jahre 1801, und damit nimmt eine neue Zeitepoche der Dichtung ihren Anfang: die Romantik. Es ist fast symbolhaft, dass der Anfechter dieser Richtung, der jüngste Bruder von Sándor Kisfaludy, Károly, wenn auch kein Gardist, aber doch Oberleutnant der k.k. Armee war ... Bessenyei und seine Freunde blieben zeitlebens treuergebene Untertanen ihrer Königin. Sie nannten sie die Mutter Ungarns, Patronin des Vaterlandes. Die Gardisten blieben aber auch dem Geiste der Aufklärung treu; Bessenyei schrieb im Jahre 1801: „Wenn du das Wort Vaterland hörst, denke immer an Europa.”4

Es verbleibt nur noch die Antwort auf die Frage, warum Maria Theresia ihre Pläne auf militärischer Basis verwirklichte? Warum wandte sie sich, hinsichtlich ihrer ungarischen Kulturpolitik, an Soldaten, Gardisten und Husaren? Weshalb nicht an Zivilisten – Wäre eine Auswahl unter Zivilisten nicht einfacher gewesen?

Die Königin wusste nur zu gut, dass das Militär in Ungarn immer Verfechter der Kultur und Dichtung war. Es genügt Bálint Balassi oder den Feldherrn Miklós Zrínyi zu erwähnen. Zrínyi, ein General, ein siegreicher Feldherr, verfasste, wie er selber schrieb, zwischen zwei Schlachten Gedichte und ist bis heute einer der größten ungarischen Barockdichter.

Seine Büste ziert auch Parrieders Freilichtmuseum in Oberösterreich... Auch zu Maria Theresias Zeit gab es unter den tapferen Husarenoffizieren und Generälen des Siebenjährigen Krieges Dichter. Es ist keine Anekdote, sondern Tatsache, dass am 16. Oktober 1757 vier ungarische Generäle Berlin – die Festung Spandau – für kurze Zeit eroberten: András Hadik, der spätere Vorsitzende des Kriegsrates; Miklós Beleznay, dessen Gattin, die Hofdame der Königin, Bessenyei unterstützte; Lőrincz Orczy und Joseph Freiherr von Gvadányi, beide Dichter und Klassiker der ungarischen Literatur. Diese Soldaten waren eben durch ihre Kriegserfahrungen viel demokratischer gesinnt, als der Landadel in Ungarn. Gardisten, sogar Husarengeneräle korrespondierten mit literarisch veranlagten einfachen Frauen; sie verhalfen Wäscherinnen, Ammen, Schustergattinnen zur Veröffentlichung ihrer Gedichte, ohne sie persönlich je gekannt zu haben. General Freiherr von Gvadányi schrieb ein Lobgedicht an Julianna Fábián, die Frau eines Komaromer Schustermeisters, in welchem er so schwärmt: „Vorwärts nur, reite ins Gefecht der Dichter, du bist nicht minderwertiger als die Männer des Adels, denn wie altbekannt, der beste Weizen wächst in einfacher schwarzer Erde.” Diese vielleicht beispiellose literaturhistorische Erscheinung ist auch eine Folge der Kulturpolitik Maria Theresias.5

*

Diese Glanzzeit der ungarischen adeligen Leibgarde dauerte bis zum Ende der Napoleonischen Kriege. Dann kamen andere Zeiten. Im September 1848 trat die ungarische Leibgarde in die Honvéd-Armee über. Damit ging eine große Zeitepoche zu Ende.

Ein Film von Géza Bolváry: Maria Ilona, 1848 schilderte diese Schlussepisode der ungarischen Adeligen Leibgarde. Zu dem im Jahre 1939 gedrehten Film schrieb, Richard Billinger das Drehbuch die Hauptrolle spielte Paula Wessely. Paul Hubschmied war der Gardist, Willy Birgel ein Hofbeamter und der Kaiser Ferdinand natürlich Paul Hörbiger. Die ungarische Garde verwandelte sich in eine Legende auf der Leinwand.

Bessenyei deutsch:

Der Amerikaner 1774. Wien; Die Geschäfte der Einsamkeit 1777. Wien; Der Mann ohne Vorurteil 1781. Wien

 

Anmerkungen

1

Univ. Prof. Grete Klingenstein, Graz in: Brigitte Hamann: Die Habsburger, ein biographisches Lexikon, Wien, 1988.

“Es ist unbestritten, dass im Beraterkreis Maria Theresias das Gedankengut der europäischen Aufklärung verbreitet war und dass sie Selbst sich Anliegen öffnete und zu dem ihren machte, die man aufgeklärt nennen kann, – Ungarn samt Siebenbürgen wurde in den Verwaltungsapparat des in Umrissen sich abzeichnenden Gesamtstaates nicht eingegliedert.” 343.

2

J. Szekfű: Der Staat Ungarn, Stuttgart und Berlin, 1918.

“Maria Theresia verstand es, ihre Uniformierungspolitik unter Schonung der bestehenden ständischen Privilegien durchzusetzen und die, seit ihrem Regierungsantritt erworbenen Sympathien des Ungarntums bis zum Ende bewahren ... (143.) Die Rückständigkeit der ungarischen Kultur war den jungen Adeligen, die Maria Theresia als ihre ungarischen Gardisten nach Wien gezogen hatte, zum Bewusstsein gelangt.”

3

In: Csóka Lajos: Bessenyei és a bécsi udvar, Pannonhalma, 1936.

4

Bessenyei schrieb 24 fahre nach dem Tod Maria Theresias:

“Während ihrer Regierungszeit herrschte in Ungarn Ruhe und Wohlstand. Ihre äußeren und inneren Eigenschaften, ihre außergewöhnliche Schönheit, majestätisches Auftreten, persönliche Würde, ihr einfühlsames Herz, ausgeglichene Gedenkweise waren für uns Wohltaten. Sie förderte Gelehrte, Soldaten, menschliche Schwäche war für sie immer verständlich, sie bestrafte schweren Herzens, begnadigte mit Freude und nie ließ sie jemanden fallen, wenn auch noch so unangenehme falsche Intrigen im Gang waren.” (Tarimenes utazása, 1804–1830. eines Wertz habe ich dem ewigen...... M.T-s gewidmet.)

5

Gyula Szekfű in: Ungarische Geschichte: „Maria Theresia interessierte sich eingehend für die wirtschaftliche Lage der ungarischen Bevölkerung ... Die Großgrundbesitzer pressten die letzten Kräfte ihrer Leibeigenen aus. Als die Königin energisch eingriff, protestierten heftig auch die, ihr nahestehenden Magnaten dagegen...Das empörte Maria Theresia dermaßen, dass sie den Landtag im Jahre 1764 schließen ließ und einen Statthalter, Herzog Albert ernannte.”

Dieser Herzog Albert war der Ehemann der erklärten Lieblingstochter Maria Teresias, Maria Christine. Sie „zeichnete sich durch Liebenswürdigkeit, Intelligenz und beträchtliche künstlerische Begabung aus ... Sie heiratete in Preßburg Herzog Albert-Kasimir von Sachsen-Teschen. Diese Ehe war die einzige reine Liebesheirat, die Maria Theresia einem ihrer Kinder erlaubte ... Maria Theresia machte Albert – den späteren Begründer der berühmten Albertina! – 1765 zum Statthalter Ungarns... Preßburg wurde unter dem Statthalterpaar ein blühendes kulturelles Zentrum. Schnell erwarb sich Marie Christine die Sympathie des nationalen Adels und der Bevölkerung... Nach dem Tode Maria Theresias hat sie der eifersüchtige Kaiser Joseph, ihr Bruder nach dem Niederlande Versetzt.” (Brigitte Haumann in: Die Habsburger, op.zit. 312.)

So ist es verständlich, warum die Königin aus dem rückständigen Magnatentum eben jene jungen Adelige zur Garde rief, die sie später vorbehaltlos unterstützen bereit waren, ohne ihre Vaterlandsliebe aufgeben zu müssen.

Maria Theresia schrieb an Albert und Marlo–Christine:

„Ich hatte die ungarische Nation immer lieb gehabt – und das ist die gemeinsame Grundlage unseres Glücks und Schicksals.”

Dass Albert und Christine, unter der Führung der Königin, Ungarn tatsächlich aufblühen ließen, stellte der Botschafter Venedigs, Paolo Reiner schon im Jahre 1769 fest:

„Ungarns Kultur wuchs unglaublich rasch in den letzten Jahren; aus einfachen Dörfern wurden blühende Städte, unbekannte Industriezweigen blühten auf, die Einnahme des Königreiches wuchs aufs Zehnfache.” – Da half schon die zweite Generation der Gardisten – die in 1760 aufgenommenen schieden in 1764 aus und von nun an kamen in jedem Jahr quittierte Gardisten zur Staatsverwaltung!